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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht, ich entkleidete mich, blies die Lampe aus, warf mich ermüdet auf mein Lager und schlief nach einigen Minuten ruhig ein.
    Ich mochte einige Stunden geschlafen haben, als ich im halbwachen Zustande hörte, daß die Tür meines Schlafgemachs geöffnet wurde. Auf einmal wurde es ganz hell, ein mir unbekannter Jude mit einer langen brennenden Kerze trat herein, dem noch zwei, drei, vier, dann aber eine Menge Juden leise auftretend folgten. Ich dachte, daß es jetzt um michgeschehen sei, und erwartete nichts anders, als daß einer dieser Schummelmaggais auf mein Bett zutreten, mich abschächten und meines Geldes berauben würde. Ich zog die Bettdecke über den Kopf, und der kalte Angstschweiß lief tropfenweise von meiner Stirn, weil es denn doch nicht angenehm war, so jung und auf eine mörderliche Art zu sterben. In diesem Zustande von fast völliger Besinnungslosigkeit lag ich und erwartete meinen Tod, als ich fühlte, daß plötzlich ganz behutsam die Decke von meinem Kopfe weggezogen wurde. Verzweiflungsvoll aufspringend, um den Todesstoß abzuwehren, sank ich, mit den Beinen in der Decke verwickelt, auf die Erde und – wer beschreibt mein Erstaunen und meine Freude! – in die Arme meiner früheren Solo-Kollegen, der Herren Itzig und Schmulchen. Dieselben waren wie vom Blitz getroffen, als sie mich in diesem exaltierten Zustand erblickten, und mußten mich für wahnsinnig oder mondsüchtig halten, wenn ich ihnen nicht ganz offenherzig den Grund meiner schrecklichen Angst entdeckt hätte. Halb erzürnt verwiesen sie mir den abscheulichen Verdacht, wie ich nur hätte glauben mögen, sie würden einen jungen Menschen töten, der noch lange leben, tätig sein und eine schöne Karriere im Militär machen könnte, und klärten den nächtlichen Besuch in meinem abgelegenen und ziemlich geräumigen Schlafgemach dadurch auf, daß sie darin hätten Betstunde halten wollen, weil ihre Synagoge in dieser Nacht von den Franzosen in einen Menschen- und Pferdestall verwandelt sei. Wir verständigten uns nun gegenseitig, und der unterdessen herbeigekommene alte Rabbiner entschuldigte sich tausendmal, daß er mir einen solchen Schreck eingejagt habe, indem er erst in der Morgenzeit auf den Gedanken gekommen sei, aus den angeführten Gründen die Betstunde in seinem Hause anzuordnen. Meine tragikomische Attitüde wurde noch einmal tüchtig belacht, und damit war die Sache zu aller Zufriedenheit abgetan.«
    Am nächsten Abend fand Dornheim mit 20 KameradenQuartier bei einem Schuster in Wirballen, dem sie die Auslagen bezahlten. Und da sie auch ein kleines Rind erbeutet hatten, das augenblicklich verzehrt wurde, ging es den Lippern bei Braten und Kartoffeln ausgezeichnet, bis ihnen demonstriert wurde, was französische Offiziere unter Waffenbrüderschaft verstanden, als ein Oberst mit seinem Adjutanten um Aufnahme bat: »Erschöpft, wie wir beide waren, wurden sie eingeladen, in die Stube zu treten, und ihnen der Rest unseres Abendbrotes angeboten. Daß sie diese Einladung gern annahmen und die Speisen mit wahrem Appetit verzehrten, bedarf wohl keiner Versicherung. Auch wurde ihnen, aus Achtung vor ihrem Rang und aus Rücksicht der von ihnen seit Moskau erlittenen unsäglichen Strapazen, das Bett als Ruhestätte angeboten. Allein die beiden Franzosen waren, nachdem sie satt gegessen und getrunken hatten, so unverschämt, zu verlangen, wir alle 20 Mann sollten das Quartier verlassen und ihnen allein die Stube einräumen. Vergebens stellte man ihnen vor, daß sie das Bett einnehmen könnten, uns aber auch Wärme und Obdach gönnen möchten. Hartnäckig bestanden sie indes auf der Erfüllung ihres Verlangens, und da wir uns dagegen sträubten und heftige Worte mit ihnen wechselten, zog der Obrist seinen Degen, um mich, den Anführer, zu erstechen. Da schwoll unsern Soldaten (…) der Kamm, und gleich waren 8 bis 10 Feuerrohre angelegt, um den Obristen nebst seinem Adjutanten zu erschießen. Gutmütig hatten wir sie beide gespeist und ihnen die beste Lagerstelle einzuräumen versprochen, bei einem solchen Benehmen glaubten aber die Soldaten keine weiteren Höflichkeiten und Respektbezeugungen schuldig zu sein. Die beiden Herren wurden deshalb, obgleich sie nachher um gut Wetter baten, sofort von uns aus dem Hause gejagt.«
    Der badische Feldwebel Joseph Steinmüller geriet mit einem Kameraden am 15. Dezember, nachdem sie den Njemen überquert und sich gerettet glaubten, in die Hände von Kosaken.

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