Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Als wir später noch die Suppe gegessen und unser Pferd gut versorgt hatten, legten wir uns schlafen.
Am andern Morgen vor Aufbruch gaben wir unserer Wirtin für das Nachtquartier fünf Francs, und als sie damit nicht zufrieden war, noch einmal soviel. Sie forderte aber für jeden von uns und ebenso für das Pferd fünf Francs.
Bei dieser Unverschämtheit sprang ich auf und erklärte ihr, daß sie eine ganz niederträchtige Kanaille wäre und nichts mehr bekommen würde. Darauf fuhr sie mir mit der geballten Faust vor das Gesicht und erwiderte spöttisch: ›Du armes kleines Französchen willst das große Maul haben? Vor einem halben Jahr, da konntet ihr wohl so sprechen, da waret ihr die Stärkeren, aber jetzt stehen die Sachen anders. Zahlt ihr nicht, so lasse ich das Pferd vor dem Schlitten wieder ausspannen und liefere euch den Kosaken aus!‹ – ›Ich mach mir den Teufel was aus deinen Kosaken und allen Preußen obendrein!‹ schrie ich. – ›Na, Bürschchen, nimm dich in acht!‹ fuhr sie höhnisch fort, ›wenn du wüßtest, wie nahe dir die Kosaken sind, würdest du zahmer sein!‹ – Mich packte jetzt die Wut;sie war aber stärker als ich, und im Nu lag ich auf dem Stroh und sie auf mir. Das Satansweib hätte mich unfehlbar erdrosselt, wenn meine Kameraden nicht zugesprungen wären und mich befreit hätten. Kaum waren wir beide wieder auf den Beinen, da trat der Mann ein; in demselben Augenblick versetzte ihm aber auch schon seine zärtliche Ehehälfte einen Faustschlag, daß er taumelte. ›Du feiger Lump!‹, kreischte dabei die Megäre, ›wenn du nicht augenblicklich die Nachbarn und die Kosaken herbeirufst, kratze ich dir die Augen aus!‹ Es war klar, daß dies Ungeheuer von einem Weibe alles in Bewegung setzen würde, um uns nicht fortzulassen. Wir vertraten daher dem Mann die Tür, ergaben uns in unser Schicksal und warfen dem Drachen das geforderte Geld hin. Ich spuckte Feuer und Fett vor Wut und konnte mich nicht enthalten, im Hinausgehen noch zu rufen: ›Na warte, das Geld treibe ich mir mit Zinsen ein, wenn ich wiederkomme!‹, was allerdings nur ihr Hohngelächter hervorrief.«
Auch bei Heilsberg, wo Bourgogne am 21. mit seinen Kameraden in einem etwas abgelegenen Forsthaus unterkam, erlebten die Franzosen eine energische Ostpreußin, die auf einer angemessenen Vergütung der Unterkunft bestand: »Ich erklärte, nichts bezahlen zu wollen, und als sie merkte, daß auch die andern keine Verpflichtung dazu fühlten, ließ sie die Tür verschließen, und auf ihren Ruf erschienen etwa zwölf robuste preußische Bauernbengel mit dicken Knütteln. Diese Sprache war zu deutlich, um von uns nicht verstanden zu werden. Wir gewannen die Überzeugung, daß wir zahlen mußten, taten es und fuhren ab. Wie hatten sich doch die Zeiten geändert! Diese preußischen Frauen fingen allmählich an, uns fürchterlich zu werden.«
Der westphälische Oberstleutnant von Meibom, der in einem Schlitten, worin sein Bruder und der General von Füllgraf saßen, kurz in einer ostpreußischen Kleinstadt nahe Insterburg eintraf, wäre dort fast von einer wütenden Menge gelyncht worden, weil man sie für Franzosen hielt. Meibom gab sichrasch als Deutscher zu erkennen, aber der Bürgermeister verweigerte dennoch die erbetenen Ersatzpferde. Die Westphalen durften froh sein, daß die »von äußerstem Franzosenhaß erfüllten Einwohner« sie unversehrt ziehen ließen.
Ebenso begegnete dem Schweizer Albrecht von Muralt, Oberleutnant im bayerischen Chevauleger-Regiment »Prinz Leiningen«, unverhohlene Feindseligkeit: »Die Gesinnung der Bewohner von Ostpreußen, durch welche Gegend unsere Reise ging, war uns übrigens keineswegs günstig. Auf unserm Marsch nach Rußland hatten wir diesen Länderstrich ziemlich hart mitgenommen, und die Einwohner, die jetzt statt übermütige Soldaten in uns meist nur elende, halb verkrüppelte Gespenster sahen, ließen uns unser früheres Benehmen entgelten. Oft begrüßten sie uns bei der Durchfahrt ihrer Dörfer mit Steinen, einzelne Kranke, die man gezwungen war zurückzulassen, wurden manchmal auch mißhandelt; die Bauern schlugen sie halbtot oder warfen sie zur Türe hinaus auf die kalte Straße.«
Der westphälische Oberleutnant Friedrich Gieße erlebte am 16. in Scherwind, wie der Bürgermeister allen Franzosen Quartiere verweigerte, die westphälischen Offiziere aber beim protestantischen Ortspfarrer unterbrachte: »Als westphälische Offiziere mochte er uns wahrscheinlich für
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