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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Mund und Nase. Dann machte sich einer der Druschinen über ihn her und versetzte ihm den Gnadenstoß in die Gurgel. Für den war nun gesorgt! Die ganze Kolonne stand währenddessen still, als stumme Zuschauer. Und diese gräßliche Szene wiederholte sich auf einem Marsche von höchstens zwei Meilen mindestens dreißigmal.«
    In Kaluga angekommen, lebten von den Gefangenen noch 160. Daß überhaupt noch so viele überdauerten, hatten sie der Hilfsbereitschaft von Gutsbesitzern zu verdanken, die sie mit Lebensmitteln versorgten. Während in Kaluga ein Transport nach Astrachan zusammengestellt wurde, kam Wachsmuth in ein Lazarett für gefangene Offiziere, das von einemenglischen, einem österreichischen und einem russischen Arzt betreut wurde. Hier erkrankte Wachsmuth an Typhus, den er überstand. »Abgemagert zum klapperdürren Gerippe, mit Wunden vom Durchliegen und mit Ungeziefer bedeckt, in schmutzige Lumpen, die Überbleibsel des einzigen Hemdes, gehüllt, denn die russischen Aufwärter hatten mir während meines bewußtlosen Zustandes alle übrigen Habseligkeiten gestohlen und verkauft.«
    Im April 1813 wurde Wachsmuth aus dem Lazarett entlassen und bei einem Bilderhändler einquartiert. Durch die Bekanntschaft mit einem aus Hamburg stammenden Apotheker und einem aus Artern gebürtigen Arzt, die es in Kaluga zu beträchtlichem Vermögen gebracht hatten, fand Wachsmuth einen anregenden Umgang und endlich die Möglichkeit, sich mit neuer Kleidung zu versehen. Gemeinsam mit zwei Westphalen, fünf Spaniern und der Witwe eines spanischen Sergeanten mit zwei Kindern wurde er im Juli nach St. Petersburg gebracht, wo Kaiserin Elisabeth die drei Westphalen empfing und sie je 200 Rubel »zur Verbesserung ihrer Garderobe« überreicht bekamen. Der Generalgouverneur von St. Petersburg eröffnete den Westphalen, man habe bestimmt, sie in die Russisch-Deutsche Legion aufzunehmen, was jedem deutschen Kriegsgefangenen zugedacht war, von den meisten aber abgelehnt wurde. So auch hier. Wachsmuth verwies auf seinen König Jérôme geleisteten Eid und sagte, er würde nach dessen Sturz Dienst bei dem angestammten Fürsten nehmen, was bei dem aus Halle a. d. Saale stammenden Wachsmuth der preußische König war. Diese Ablehnung kam aber übel an. Man erklärte die drei zu Staatsgefangenen und schickte sie auf die weite Reise nach Perm. »Not litten wir übrigens unterwegs auch nicht in einem Stücke«, schreibt Wachsmuth. »Ja! wir waren Glückliche, wenn wir uns verglichen mit jenen unglücklichsten Menschenkindern, die mit aufgeschlitzten Nasenlöchern, abrasierten kahlen Köpfen, angeschmiedet an eine ungeheure Kette, in die sibirischen Bergwerke geschlepptwurden und unterwegs in den Dörfern um ein Stück Brot bettelten. Mehrere Transporte dieser Elenden holten wir unterwegs ein.«
    Angekommen in Perm – nach einer Reise von mehr als 2000 Kilometern –, empfing der Platzkommandant die soeben Eingetroffenen mit dem Bescheid, sie hätten unverzüglich nach St. Petersburg zurückzukehren, nicht einmal eine Übernachtung sei ihnen gestattet. Im Dezember trafen die drei Westphalen schließlich in Zarskoje Selo ein, wo man ihnen eröffnete, sie dürften nun nach Deutschland zurückkehren. Am 25. Januar 1814 kam Wachsmuth in Halberstadt an und wurde in die preußische Armee aufgenommen.
    Der bayerische Feldwebel Joseph Schrafel geriet bei Kobylnik, 100 Kilometer nördlich von Poznan, mit seiner Frau, die ihn im eigenen Wagen den gesamten Feldzug als Marketenderin begleitete hatte, und seinen Kameraden in die Gewalt der Kosaken. Wie üblich mußten sich alle ausziehen, um besser gefilzt werden zu können, doch waren die Kosaken so taktvoll, Walpurga Schrafel nicht zu entkleiden. Aber sie wurde abgetastet und dabei der unter dem Hemd befindliche Gürtel gefunden, worin sie ihre Einkünfte aus der Marketenderei verwahrte: »Weg war unsere letzte Stütze! Weg der Sparpfennig, den meine Frau unter tausend Beschwerlichkeiten, ja oft mit Gefahr ihres Lebens errungen hatte; denn auf unseren Märschen war sie oft wider meinen Willen und ohne mein Wissen stundenlang allein von der Hauptroute seitab gefahren, bis sie in eine Ortschaft kam, wo sie ihren Wagen mit Mundvorrat füllen konnte. Sie wagte jedesmal ihr Leben unter dem barbarischen Volke; aber beherzt bot sie jeder Gefahr Trotz, nur um meine Not zu lindern. Man stelle sich ihren Jammer vor, als sie nun plötzlich alles verlor.«
    Da Schrafel, den seit Tagen die Diarrhoe quälte, so

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