Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
?‹ (Blessiert?) . Ich nickte ihm ein ›Vot!‹ (Ja!) zu, und nun half er selbst recht freundlich mir wieder hinauf.«
Wachsmuth ist der einzige, der ein gutes Wort für die Kosaken findet, denn sie retteten ihm das Leben: »Da die Kosaken unser einziger Schutz gegen die wütenden Bauern waren – ein Schutz, dessen wir nun bald bedürfen sollten –, reichte ich dem ältesten derselben meine Börse mit einem Teile meiner Barschaft. Doch schien an Geld ihnen wenig gelegen zu sein. Sie fragten nur immer nach ›Tschaß‹ (Uhren) , eine Frage, die wir aber mit Kopfschütteln beantworteten, da wir unsere Uhren gut versteckt zu haben glaubten. Wir hatten nun unsere Unglücksgefährten gar bald wieder eingeholt und langten bei einem Dorfe an, dem ersten, in welches wir die Bewohner zurückgekehrt sahen. Früherhin hatte ich beim Fouragieren vier und fünf Meilen rechts und links der großen Heerstraße nie eine lebende Seele angetroffen. Alles hatte sich damals in die Wälder geflüchtet. – Uns ward beim Anblick der wilden Bauern nicht wohl zumute. Wir baten die Kosaken, bei uns zu bleiben, was sie denn auch durch treuherziges Kopfnicken versprachen. Ein großer Trost für uns! Denn in diesem Augenblick rief Döring: ›Gott im Himmel! hören Sie, dort zerschmettert man den Menschen mit Keulen die Köpfe!‹ – Der Schall der gräßlichen Keulenschläge und das Schreien und Wimmern der unglücklichen Schlachtopfer war uns ganz inder Nähe; auch fanden wir bald zwei Grenadiere, deren Gehirn auf dem blutigen Boden umhergespritzt war. Das Angstgeschrei der übrigen hatte indes einen Kosakenoffizier herbeigerufen, der dem Greuel ein Ende machte. Er kam auch an unseren Wagen geritten und fragte: Ob wir Offiziere wären und von welcher Nation? Wir anworteten: ›Westphalen!‹ – ›Ah!‹ rief er, › wasche Caroli Brad Napoleoni! -‹ (Euer König ist ein Bruder von Napoleon!) Der begleitete uns nun durch das Dorf, dessen männliche und weibliche Bevölkerung längs der Straße stand und die vorüberziehenden Unglücklichen nicht nur verhöhnte, sondern auch mit Knitteln nach ihnen schlug. Jenseits des Dorfs verließ uns der Offizier, nachdem er mir noch zuvor zum Abschiede die Hand gereicht und herzlich gedrückt hatte – eine Gutmütigkeit, die ich nur bei den Kosaken gefunden habe und die zu den schönen Eigenheiten dieser Naturkinder gehört.«
Von dieser Eskorte wurden die Gefangenen nun an eine andere Einheit abgegeben, die etwas weniger freundlich mit ihnen verfuhr: »Als wir nämlich an das jenseitige Ende des Lagers gelangten, sahen wir daselbst die Fourgons (Packwagen) mit den Amputierten aufgefahren. Ein Haufen Bauern trat auf die Räder, öffnete die Decken und warf nun, wie man etwa Scheite Holz abladet, die unglücklichen Krüppel hinaus auf die Erde. Dort wurden sie dann von andern dieser Teufel ergriffen, ein Eckchen abseits geschleppt und mit dicken Knitteln erschlagen.«
Wachsmuth wurde mit sechs anderen Offizieren in einen sehr engen Wagen eingeschlossen, der den Eingepferchten nicht die geringste Bewegung erlaubte. »So mochten wir denn etwa sechs Stunden fortgeschleppt sein, als wir dicht am Wagen ein lebhaftes Gespräch vernahmen und daher vermuteten, wir würden bei einem Dorfe angekommen sein. Einer von unserer Gesellschaft blickte durch eine kleine Öffnung und meldete, daß die uns begleitenden Kosaken ihre Mützen den Bauern hinhielten und Geld von ihnen einsammelten, vielleicht– meinte er – eine Kollekte für die armen Gefangenen. Aber dieser fromme Irrtum sollte uns sogleich benommen werden. Nein! die Kosaken spielten hier die Rolle der Führer von wilden Tieren. Als sie gehörige Entrée-Gelder gesammelt hatten, öffneten sie den Wagendeckel und ließen uns, wie fremde Bestien, für Geld sehen. – Obgleich diese Art, wie wir hier Parade machen mußten, höchst widerwärtig war, so würden wir den Kosaken, die doch zuletzt unser einziger Schutz gegen die Bestien draußen waren, den kleinen Gewinn, der ihnen auf unsere Unkosten zuteil ward, gern gegönnt haben, wenn es nur dabei geblieben wäre, daß man uns, als in der Tat sehenswürdige Reliquien der ›großen Armee‹ beäugelt hätte; aber die liebe Jugend und das schöne Geschlecht dieses Ortes wollten nächstdem für ihre Kopeken auch das Vergnügen haben, uns zu bespeien, zu kratzen, und außer allen gangbaren russischen Schimpfwörtern und Flüchen auch mit Schneebällen zu bewerfen. Zuletzt stiegen die Männer nun gar auf
Weitere Kostenlose Bücher