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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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am Kamin der Ausgangstüre nahe sitzenden Offizier, der aus einer langen Pfeife rauchte, wer dieser General sei?
    ›Das ist Graf von Wittgenstein‹, erhielt ich zur Antwort. Ich hätte dieses schon aus der Unterredung über Stuttgart erraten sollen; allein der Ideengang war bei den meisten von uns ebenso geschwächt wie unsere Kräfte.«
    Heinrich von Roos hatte das Glück, daß es den Russen an Ärzten mangelte, und so bekam er den Auftrag, gemeinsam mit einem Königsberger Arzt und vier gleichfalls gefangenen württembergischen Ärzten das Lazarett in Schützkow bei Borisow mit 3000 verwundeten und kranken Russen zu übernehmen. Es fehlte an Verbandsmaterial, Medikamenten und chirurgischen Instrumenten. Es wütete der Typhus, an dem schließlich auch von Roos erkrankte, und den er erst Ende Februar überwunden hatte. Nach seiner Genesung ernannten ihn die Russen im April zum Arzt am Haupthospital von Borisow. Ein weiteres Lazarett wurde eingerichtet für »die allerunglücklichsten Geschöpfe dieses Krieges, über 300 bei und nach dem Übergange über den Fluß vorgefundene und gefangene Weiber, Mädchen und Kinder«. Der Arzt war voller Mitgefühl für sie, zumal einige von ihnen noch größeres Leid erwartete:
    »Man denke sich eine solche Anzahl Weiber in so tiefem Elend, wie es die Umstände damals mit sich brachten, ihre Männer tot oder in Gefangenschaft, jetzt allein, hilflos, infremdem Lande, mit Kälte und Mangel aller Art kämpfend! Bei ihnen befanden sich viele Kinder von verschiedenem Alter, die zum Teil ihre Eltern verloren hatten, und erwachsene Mädchen, die aus verschiedenen Gegenden Europas, vorzüglich aus den größeren Städten Deutschlands, zumal aus Hamburg, den Franzosen gefolgt waren. Zum Teil schon krank angekommen oder die Anlage zum Erkranken bereits in sich und in den Räumen wohnend, wo zuvor die Kriegspest so furchtbar geherrscht hatte, stieg ihre schlimme Lage bei dem allgemeinen Mangel durch das Erkranken aller schon dadurch aufs höchste, daß keine der andern mehr Hilfe leisten konnte, und endete in der Christnacht auf die allertraurigste Weise. Es brach nämlich Feuer aus, die Flammen griffen schnell um sich und verzehrten alles Brennbare und alle diejenigen, die sich nicht retten konnten.
    Dieses schreckliche Ende haben jedoch nicht alle erfahren, die als Gefangene dorthin gebracht wurden. Manche haben bei gefühlvollen und teilnehmenden Menschen jener Gegend früher schon Aufnahme bis zum Frieden und viele von den armen Kindern neue Eltern gefunden. Auch viele von den Mädchen, die den französischen Offiziers als Gesellschafterinnen gefolgt waren, fanden wieder neue Aufnahme oder neue Anstellung.
    Es war den Polen und Russen auffallend, bei der alliierten Armee so viele Weiber und Kinder zu sehen, da doch die Russen keine bei sich hatten. Ich beantwortete ihre häufigen Fragen hierüber; daß bei den deutschen Truppen von jeher zwei bis drei Weiber in einer Kompanie oder Eskadron erlaubt und dazu bestimmt wären, die Wäsche der Mannschaft zu besorgen und in Lagern und auf Märschen zu marketendern; daß aber zu dem Zuge nach Rußland weit weniger Lust bezeigt hätten als bei den andern Feldzügen und daß diese Anzahl, bei dem Zusammentreffen mehrerer Armeen noch eine geringe sei.«
    Heinrich von Roos beschloß, nicht in seine Heimat zurückzukehren,sondern in Rußland zu bleiben. Nachdem ihn der württembergische König aus dem Militärdienst entlassen hatte, ließ er sich 1815 als Arzt in St. Petersburg nieder.
    Der westphälische Kanonier Heinrich Wesemann, wie von Roos am 27. November an der Beresina gefangengenommen, wurde mit anderen nach Polozk gebracht, wo er erkrankte und ins Lazarett kam.
    »In dem Lazarette lagen die Kranken in zwei langen Reihen, auf wenig Stroh gebettet, mit den Füßen gegeneinandergekehrt. Es waren lange Balken in jedem Saale heruntergelegt, welche verhinderten, daß die Kranken nicht von ihrem Lager herunterstürzten und wodurch ein freier Gang zwischen den Reihen entstand. Fast zu jeder Zeit waren Tote und Sterbende unter uns. Schmerzensrufe, Ächzen und Todesröcheln drangen fortwährend zu den Ohren derer, die sich ihrer und ihrer Lage noch bewußt waren. Von ärztlicher Hilfe war keine Spur, vielleicht war auch in Polozk nicht einmal ein Arzt zu finden. Es gab keine andere Krankenspeise als Graupen und sauere Kohlsuppe. Unreinlichkeit war in hohem Grade vorherrschend, und die gewöhnliche Folge derselben, Ungeziefer, gesellte sich zu den

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