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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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rief der Russe: ›Mon camarade! Il est inutile de fatiguer nos chevaux et de tuer nos gens pour rien. Buvons plutôt la gouette ensemble; il nous restera assez de temps pour nous battre après.‹ (Mein Kamerad! Es bringt nichts, unsere Pferde zu erschöpfen und unsere Leute für nichts zu töten. Trinken wir lieber diesen Schluck gemeinsam; wir haben noch genug Zeit, uns hinterher zu schlagen.) Wir näherten uns einander und tranken ganz freundschaftlich, während in der Ferne das Gefecht zwischen anderen Truppen ungestört fortging. Bald kamen noch einige russische Offiziere heran; ich wollte mich zurückziehen, aber der Dragoneroffizier sagte mir: ›Je vous engage ma parole d’honneur qu’ils ne vous feront pas de mal.‹ (Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Ihnen nichts Böses geschieht.) Ich blieb, und wir sprachen ganz freundschaftlich. Ich fand seinen Rum gut, konnte ihm aber keinen wiedergeben. Bald kamen noch mehr Offiziere von beiden Seiten; auch unsere Marketenderin, Madame Ehmke, eine hübsche Frau, die stets zwischen den Tirailleurs herumritt und zwei Fäßchen Branntwein auf ihrem Pferde hatte, kam herbei und schenkte den Russen gratis ein, während sie uns ihr Getränk teuer verkaufte. Ein junger Leutnant unseres Regiments, Pießac, der ein schönes mädchenhaftes Gesicht hatte, ward von einem bärtigen alten Russen sogar geküßt. Ein russischer Ulanen-Offizier, geborene Pole, der uns nach der Uniform für Polen hielt, weil wir deren Uniform trugen, wollte sich nach Landsleuten erkundigen, und als er hörte, daß allerdings ein polnisches Lancier-Regiment im zweiten Treffen hinter uns halte, ritt er voll Vertrauen, so schnell sein Pferd laufen konnte, auf das Regiment zu. Wir glaubten, er wolle desertieren; das war aber keineswegs seine Absicht, nur seine Landsleute wollte er sehen. Bei ihnen hatte er seiner Galle gegen die ruhmlose Art Krieg zu führen, die Barclay de Tolly, der russische général en chef, gewählt habe, Luft gemacht. Die ganze Armee brenne vor Begierde, sich mit uns aufTod und Leben zu messen. Als ihm erwidert ward, auch wir wünschten nichts sehnlicher als eine Hauptschlacht, die das Schicksal des Krieges entscheide, und seien des Umherziehens in einem Lande, welches so wenig Ressourcen darbiete, herzlich müde, entgegnete er: Wenn wir etwa hofften, daß es hier bei Smolensk zu einer Schlacht kommen sollte, so sei unsere Hoffnung vergebens; er wolle die höchste Wette eingehen, daß wir morgen in Smolensk einrücken, sie aber wie bisher zurückgehen würden, ohne sich geschlagen zu haben.
    Inzwischen hatte der General Bruyère, der ziemlich entfernt war, die Szene bemerkt und einen Adjutanten abgeschickt, um die Offiziere auf ihre Posten zurückzurufen und den Russen anzudeuten, sich ebenfalls hinter ihre Tirailleur-Linie zu begeben, widrigenfalls man auf sie feuern werde; den polnischen Offizier, der ins zweite Treffen geritten war, befahl er zu arretieren. Der Adjutant ritt aber, ohne Zweifel absichtlich, so langsam, daß der Pole vorher von einem andern Offizier avertiert, eiligst davonritt. Wir standen nun noch mehrere Stunden, bis zum Abend, einander gegenüber; aber die einmal geschlossene Freundschaft dauerte fort, und es fiel kein Schuß mehr, bis wir uns gegenseitig zurückzogen.«
    Der Ulan hatte sich verschätzt. Das seltsam friedliche Zwischenspiel blieb ein untypisches Intermezzo, wie der folgende Tag bewies. Der Angriff auf das 15 000 Einwohner zählende Smolensk begann am 17. August um 9 Uhr morgens. Die von einer neun Meter hohen und über fünf Meter starken Mauer mit 29 Türmen umschlossene Stadt bot den Verteidigern eine hervorragende Deckung. Dennoch gelang es der französischen, polnischen, portugiesischen und württembergischen Infanterie, die am Dnjepr gelegenen Vorstädte bis zum Einbruch der Dunkelheit zu nehmen; erst gegen 21 Uhr wurde das Feuer auf beiden Seiten eingestellt. »Der Kanonendonner war verstummt«, schreibt Leutnant von Martens, »aber hell wurde diese schöne Sommernacht durch Feuersäulen der brennenden Vorstädte beleuchtet, eine vulkanähnliche, fürchterlicheFackel blieb, in deren blendendem Schein ich die großen Begebenheiten dieses Tages in mein Tagebuch eintragen konnte.«
    Die württembergische Infanterie, unterstützt von einem Bataillon Portugiesen, setzte den Kampf am nächsten Morgen in den Vorstädten fort, nachdem sie den Dnjepr durch eine Furt überschreiten konnte, wobei den Männern das Wasser bis zur Brust reichte.

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