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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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lag allein bei Napoleon, dessen Zeitplan nicht einzuhalten war und der überdies wissen mußte, daß sein jüngster Bruder, seit 1807 König von Westphalen, keinerlei Kriegs- oder Kommandeurserfahrung besaß.
    Auch rechnete der Kaiser mit intakten Divisionen, die es aber schon seit Wochen nicht mehr gab. Obwohl ihm offen und ungeschminkt die tatsächliche Lage vor Augen geführt wurde, flüchtete er sich in Illusionen und Wunschträume und wollte die Realität nicht sehen. Das war nicht mehr der alte Feldherr, der noch drei Jahre zuvor Österreich in kürzesterZeit in die Knie gezwungen hatte. Seine Überlegung zu überwintern, um im Frühjahr 1813 den Krieg mit erholten und wiederhergestellten Kräften fortzusetzen, gab Napoleon wieder auf. Zu marode war sein Heer bereits. »Diese Armee kann jetzt nicht haltmachen«, bekannte er gegenüber seinem korsischen Landsmann General Sébastiani, der ihm einst bei seiner Machtergreifung beigestanden hatte. »Nur die Bewegung hält sie zusammen. Man kann ihr voranmarschieren, doch nicht anhalten oder zurückgehen.« Nach nur wenigen Tagen Rast, die er seinen Truppen gönnte, jagte er sie am 13. August erneut der russischen Armee hinterher. In Smolensk sollte es zur ersten großen Schlacht kommen.

7. VON SMOLENSK BIS BORODINO
    Nachdem sich die Truppen der 1. und 2. russischen West-Armee – deren Vereinigung Napoleon nicht hatte verhindern können – vor Smolensk ihrem Gegner stellten, konstatierte General Iwan Paskewitsch, Kommandeur der 26. Infanterie-Division der 2. West-Armee, zufrieden: »Jetzt kämpfen wir im alten Rußland, woran uns jede Birke am Straßenrand erinnert.« Napoleon hoffte, die russische Armee würde sich nun endlich zur großen Entscheidungsschlacht bereit finden, und auch die russischen Soldaten brannten darauf, die verhaßten Invasoren zu schlagen. Deserteure und Gefangene der Grande Armée berichteten den Russen schon lange von Nahrungsmangel, von den gravierenden Seuchen, dem verheerenden Verlust an Pferden und den wachsenden Auflösungserscheinungen sowie der allgemein gedrückten Stimmung. Napoleons Hauptarmee, die jetzt vor Smolensk stand, zählte nur noch 180000 Soldaten, doch auch die russische Armee war in den vergangenen sechs Wochen um 36000 Mann durch Krankheiten und Desertion dezimiert und zählte nun 120000 Soldaten. Weitere 25000 standen an der Düna. Barclayde Tolly wußte, daß er Smolensk nicht würde halten können. Er ließ sich auf die Schlacht ein, weil er mit der befestigten Stadt eine gute Verteidigungsposition besaß, der aber angesichts Napoleons zahlenmäßiger Überlegenheit die Einschließung drohte. Auch wußte der russische Oberkommandierende, daß er jetzt seiner Armee nicht weiter den bedrückenden Rückzug zumuten konnte. Allerdings durften seine Truppen nicht wissen, daß Smolensk zur Preisgabe bestimmt war, ehe überhaupt der erste Schuß gefallen war. Am 14. August hatte Marschall Ney bei Krasnoje, 40 Kilometer südwestlich von Smolensk, die Russen in einem Gefecht geschlagen, bei denen die Russen 700 Mann an Toten und Verwundeten verloren und 800 Soldaten gefangengenommen wurden. Damit bestand die Gefahr, daß die Grande Armée südlich an Smolensk vorbei die Straße nach Moskau erreichen und den Russen die einzige Rückzugsmöglichkeit abschneiden konnte.
    Am Nachmittag des 16. August hatte Leutnant Carl von Wedel vom französischen 9. Chevauleger-Regiment eine ungewöhnliche Begegnung: »Die Division Bruyère war am linken Flügel in drei Linien hintereinander aufgestellt, in der vordersten stand die Brigade Jacquinot; ich befand mich mit meinem Zuge bei den Tirailleurs, uns gegenüber schwärmten Dragoner und Kosaken. Bald griffen sie die Tirailleurs an, bald wichen sie zurück und lockten uns zu den Büschen, in denen die Infanterie steckte, die dann Feuer gab und uns zum raschen Rückzug nötigte. Diese gegenseitigen Neckereien dauerten so eine Zeit lang. Da hörten die Russen auf zu feuern, stellten ihre Tirailleurs in Distanzen von 15 bis 20 Schritt auf und steckten zum Zeichen, daß sie nicht mehr fechten wollten, die Säbel ein. Wir folgten dem Beispiele und stellten unsere Tirailleurs ihnen etwa 100 Schritt gegenüber ebenso auf, mit dem Befehle, nicht zu schießen und ruhig zu stehen. Bald ritt ein russischer Dragoner-Offizier einige Schritte vor, grüßte und winkte mit einer Flasche. Ich folgte dem Beispiel undstellte mich auch vor unsere Tirailleurlinie. So näherten wir uns etwa auf 30 Schritt, da

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