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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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gar nicht begreifen, wie Menschen imstande gewesen waren, solche infernalische Bestialitäten zu verüben.« Die Täter – drei italienische Soldaten – wurden daraufhin von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt und sofort erschossen, denn Napoleon hatte jegliches Plündern bei Todesstrafe verboten. Das Urteil sollte rasch vollstreckt werden, meist von den eigenen Regimentskameraden und vor der vollzählig angetretenen Einheit. »Wir fanden die von mehreren Kugeln durchbohrten Körper in ihrem noch rauchenden Blute an der großen Landstraße liegen«, schreibt Schehl, »jeden mit einer an einem Pfahl befestigten Tafel, worauf sein Name, die Nummer des Regimentes und die Ursache der Exekution sowie eine Warnung für die nachfolgenden Truppen mit gelber Ölfarbe, in großer deutlicher Schrift aufgetragen, zu lesen waren.« Heinrich von Roos sah hinter Wilna, wie sich vier französische Kürassiere ihr eigenes Grab schaufeln mußten, ehe sie – »verübter Exzesse wegen« – von und vor ihrem eigenen Regiment erschossen wurden.
    Nachdem Dubrowna nahe Witebsk von den Truppen Davouts besetzt worden war, bekam Oberstleutnant Wilhelm von Conrady mit seinem Bataillon vom Marschall Davout Befehl, für den Schutz der Stadt zu sorgen. Als nachts mehrere französische Regimenter einrückten, deren zum Teil sinnlos betrunkene Soldaten sofort in Häusern, Geschäften und Weinkellern zu plündern begannen und es eine volle Stunde gedauert hatte, ehe die Westphalen mit den zum Teil sinnlos betrunkenen Franzosen fertig geworden waren, ließ am nächsten Morgen der wegen seiner Härte gefürchtete Marschallfünf Plünderer erschießen und deren Regimentskameraden in Arrest schicken. Die betroffenen Einheiten mußten außerhalb der Stadt biwakieren. In Wilna erlebte Otto von Raven, Leutnant im Mecklenburgischen Kontingent (1. Armeekorps, 4. Division), das hier als Reserve stand, am 11. August die Exekution von zwei Franzosen und zwei Portugiesen wegen »Raub und Totschlag«. Major Wilhelm von Loßberg sah am 25. Juli in Bobre am Dnjepr, wie ein französischer Kriegskommissar erschossen wurde, und schrieb seiner Frau: »Derselbe war durch eine Bestechung von zweihundert Talern verleitet worden, Lebensmittel, welche die Untertanen liefern sollten, zu unterschlagen. – Dieser Niederträchtige hätte den Strick und nicht eine Kugel verdient!«
    Doch diese drakonischen Maßnahmen brachten wenig. Die Disziplinlosigkeit wuchs in dem Maße, wie der Leidensdruck unter Hunger, Durst und den extremen Wetterverhältnissen zunahm. Schon Anfang Juli forderten die Gewaltmärsche »unter den ausgehungerten, körperlich und seelisch herabgekommenen Mannschaften so viele Opfer, daß manche Kompanien mit höchstens 20 Mann ihren Bestimmungsort erreichten«, berichtet Wilhelm von Conrady. Wer nicht an Entkräftung starb, wurde »von den Bauern erschlagen oder von den Wölfen zerrissen«. Leutnant Karl von Kurz betont, vor allem spanische, portugiesische, neapolitanische und illyrische (Bosnier, Serben) Deserteure hätten »förmliche Räuberbanden« gebildet. Der von Napoleon als Gouverneur von Wilna eingesetzte holländische General Graf Hogendorp ließ sie von eilig aufgestellten litauischen berittenen Gendarmen jagen, gefangennehmen und zum Teil auch sofort erschießen. Heinrich von Brandts Regiment sah »überall Bagage, Marodeurs, Isolierte, und zwar in der Zahl, daß Dörfer, Flecken, ja die ganze Landstraße damit wie besät waren. Viertel und halbe Meilen weit sah man oft nichts als Bagage-Wagen mit kleinen Landpferden bespannt, auf welchen diese Marodeurs das geraubte Gut mit sich schleppten, an bequemen Orten sich einquartiertenund in förmlichen Lagern den Ertrag ihrer nichtswürdigen Hantierung verzehrten.« Der gerade zum Leutnant der Kaisergarde beförderte Jean-Roch Coignet bekam den Befehl, 700 Nachzügler zum 3. Armeekorps bei Witebsk zu bringen, darunter 133 Spanier. Diese nutzen die Gelegenheit, beim Marsch durch einen Wald davonzulaufen, und schossen sogar auf Coignet, ohne ihn allerdings zu treffen. Eine Kavallerie-Einheit machte die Spanier ausfindig und nahm sie fest. Der Oberst ließ daraufhin 62 Spanier (darunter die zwei Sergeanten und drei Korporale) auslosen und sofort erschießen.
    Schließlich erging Befehl an die Einheiten, künftig niemanden mehr zurückzulassen. Da aber die Krankenwagen der Regimenter oft überfüllt waren und die geschwächten Pferde sie kaum noch ziehen konnten, überließ man die Schwachen und

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