Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
»Mit der Hälfte der Kompanie wurde mir ein mit Obstbäumen und einem Gartenhäuschen versehener Garten dicht am Ufer angewiesen, in welchem sich auch ein junger französischer Offizier mit etwa 12 Mann bereits befand«, schreibt Martens. »Unterstützt durch unsere Artillerie, deren Kugeln über unsern Häuptern in den am jenseitigen Ufer aufgestellten Feind einschlugen, begann gleich ein heftiges Kleingewehrfeuer. Hocherfreut über den unerwarteten Zuwachs faßte mich der feurige französische Offizier bei der Hand mit den Worten: Venez, mon ami, partageons notre sort! (Kommen Sie, mein Freund, teilen wir unser Los!), und ließ mir einen Schluck geistigen Getränkes aus seiner Feldflasche zukommen; kaum hatte ich aber für den labenden Trunk gedankt und mich zu meinen Leuten gewendet, die mit den Franzosen an der Hecke des Gartens verteilt waren, als eine feindliche Kartätschenkugel den Kopf dieses wackern Jünglings so zerschmetterte, daß Teile seines Hirns und Bluts an der hölzernen Wand des Gartenhäuschens hängenblieben.«
Mit dabei war auch Leutnant von Suckow, der mit seiner Einheit gleichfalls den Dnjepr durchschritten hatte: »Hier war es auch, wo unser General, an der Spitze seiner Brigade in die Vorstadt eindringend, jenem Leutnant, der, wie der Leser sich erinnern möge, bei dem Festessen in der Garnison Schorndorf kurz vor Beginn des Feldzuges sich vermaß: ein Feldzug in Rußland werde ihn nicht schwieriger erscheinen, als wenn er ein Butterbrot esse – mit der Frage entgegentrat: ›Nun, Herr Leutnant, wie steht es mit dem Butterbrote?‹ Dem Befragten, der noch von der eben beendigten Wasserpromenade triefte, schien aber aller Appetit vergangen zu sein, und er beantwortete die Frage des Generals am besten so, wie er es tat – durch Schweigen, begleitet jedoch von einer sehr verlegenen Miene.«
Christian Wilhelm von Faber du Faur: Vor Smolensk, den 17. August 1812, nachts vor 10 Uhr. – Nachtlager des württembergischen Jäger-Regiments zu Pferd Nr. 4 (»König«), erhellt von den Flammen der brennenden Vorstädte von Smolensk.
Die französischen Grenadiere hatten am 18. August morgens um drei Uhr die Stadt selbst gestürmt, aber zu ihrem Erstaunen dort keine Verteidiger mehr vorgefunden. Smolensk, das einst volkreiche Zentrum für Handel und Industrie am Dnjepr, stand in Flammen, verteidigt von einer Nachhut, die sich fast aufopferte, um den Rückzug ihrer Armee in Richtung Moskau zu sichern. Da es in der Stadt Magazine voll mit leicht entzündbaren Pelzen und lackierten Blechwaren gab, brannte es »an allen Ecken und Enden«, berichtet Leutnant Jean-Roch Coignet von der französischen Kaisergarde. »Um in sie einzudringen, mußten unsere Kolonnen durch tiefe Festungsgräben und wieder hinauf zu den mit Tausenden vonSalzsäcken verstopften Toren. Die Straßen waren die reinen Schmelzöfen. Das Flammenmeer schillerte in allen Farben von den in den großen Magazinen brennenden verschiedenartigen Vorräten.«
Leutnant Karl von Kurz war erschüttert, als er die einst so prachtvolle Stadt der Zerstörung preisgegeben sah. »Die Paläste, welche noch nicht lange brennend eingestürzt waren, zeigten weiter nichts als von den Flammen geborstene Mauern und unter ihrem Schutt die geschwärzten Skelette mancher Bewohner oder der Verwundeten, welche in ihnen ein Asyl zu finden gehofft und vom Feuer verzehrt worden waren«, erinnert er sich. »Die Häuser, welche von den Flammen verschont blieben, waren alle mit verwundeten Russen angefüllt. Nur die zahlreichen Kirchen gewährten den unglücklichen Bewohnern, die nicht mit der Armee zogen und in dem Augenblick der Besitznahme nirgends Schutz fanden, noch die letzte Zuflucht, und die Hauptkirche, die berühmt ist und bei den Russen in großer Verehrung steht, wurde in dieser Schreckensnacht der Zufluchtsort vieler Familien, die den Flammen entgangen waren und zu Hunderten die Altäre umlagerten, ihre kummervollen Blicke nach dem Heiligen gerichtet, welchen sie ihr ganzes Leben durch angerufen hatten. Unter diesen Gruppen sah man Kinder in der Wiege, denen die durch das Unglück zu Boden geschlagenen Mütter die Brüste reichten und die sie mit Tränen benetzten. Alle diese Opfer des unerbittlichen Krieges wurden innerhalb 24 Stunden aus ihrem häuslichen Glück in unermeßliches Elend hinausgestoßen; die meisten flüchteten mit der abziehenden Armee und gaben sich ungewissem Schicksal preis.«
Christian Wilhelm von Faber du Faur: An den Mauern von
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