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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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gesehen hatte. Die ganze Atmosphäre schien von Eis zu sein.« Kameradschaft gab es auch in der Garde nicht mehr: »Da der Weg, auf dem wir hielten, sehr schmal war, drängte sich alles dicht zusammen. Ich stand mit mehreren Kameraden am Rande der Straße. Wir trampeltenmit den Füßen, um sie zu erwärmen, und sprachen von unsern Leiden und dem Hunger, der uns verzehrte, da auf einmal steigt mir der Duft warmen Brotes in die Nase. Ich wende mich schnüffelnd um und bemerke dicht hinter mir einen Mann in einem großen Pelz, unter welchem der Geruch hervorzukommen schien. Ich sehe ihn scharf an und sage barsch: ›Herr, Sie haben Brot! Sie werden mir ein Stück davon verkaufen!‹ Er dreht sich ohne Erwiderung um und will fortgehen, ich aber halte ihn am Arm fest, und wohl von meinem eisernen Griff überzeugt, daß er mich nicht loswerden würde, zieht er nunmehr wirklich unter seinem Pelz einen warmen Fladen hervor. Hastig mit der einen Hand danach greifend, will ich ihm mit der andern ein Fünffrankstück hinreichen, als mir das Gebäck auch schon mit wilder Gier von den neben mir stehenden Kameraden entrissen wird. Mir blieb von dem Ganzen nichts als das kleine Stückchen, welches ich zwischen dem Daumen und den beiden ersten Fingern festhielt. – Während dies vor sich ging, verschwand der Mann im Pelz eiligst, und er tat wohl daran, denn man würde ihn zu Boden geschlagen und vielleicht getötet haben, um ihm noch das zu nehmen, was er an Eßbarem möglicherweise noch unter seinem Pelz verborgen hatte. Trotz seines schnellen Verschwindens hatte ich im letzten Moment doch noch erkannt, daß er ein Arzt der Armee war. Vermutlich war er als einer der ersten in das Dorf gekommen, hatte das Glück gehabt, Mehl zu finden, und sich sogleich davon Fladen gebacken.«
    Auf einem nicht weit von der Marschstraße führenden Waldpfad, den Bourgogne mit einem Unteroffizier der Kompanie eingeschlagen hatte, stießen die beiden »auf einen Gardekanonier, der einen andern auf der Erde liegenden Artilleristen ausraubte. Der letztere war noch nicht tot, denn er bewegte noch die Beine und schlug ab und zu mit den geballten Händen auf den Erdboden. Mein Kamerad versetzte dem rohen Gesellen, ohne ein Wort zu verlieren, einen derben Kolbenstoß in den Rücken. Der Kerl sprang mit einem Fluch aufund erwiderte auf unsere Empörung über sein Verhalten trotzig: Wenn der Mann auch noch nicht ganz tot wäre, so würde er es doch bald sein, und er als sein früherer Bettgenosse hätte das meiste Anrecht auf seinen Nachlaß.« Die Soldaten schliefen in den Kasernen fast immer zu zweien in einem Bett, das meint das Wort »Bettgenosse«. Doch noch gab es hin und wieder Kameradschaft. Ludewig Fleck fand mit einem anderen Soldaten in den Ruinen eines niedergebrannten Dorfes »eine große Anzahl schöner neuer Schafpelze, vier Brote, einen Beutel mit Mehl, 40 bis 50 Eier und etwas Fett«, was sie mit ihren herbeigerufenen Kameraden teilten.
    Walutina-Gora, wo es am 19. August zu einem heftigen Gefecht mit den abziehenden Russen gekommen war, erreichte die französische Garde am 8. November. Bourgogne bekam Befehl, für Marschall Edouard Mortier Wache zu stehen. Man hatte die Ruine einer Scheune ohne Dach gefunden, einen Wetterschutz für den Marschall gezimmert und aus den Scheunentoren Brennholz gemacht. »Schon gegen neun Uhr lag ein Teil von uns in einem von Kälte, Hunger und den von Strapazen hervorgerufenen Schmerzen sehr unterbrochenen Schlummer. Mein armseliges Mahl bestand in Pferdeleber und etwas Schnee. Auch der Marschall aß ein Stück von derselben Leber, doch hatte er dazu etwas Zwieback und hinterdrein sogar einen Schluck Branntwein. Das war für einen Marschall von Frankreich gerade kein sehr leckeres Mahl, jedoch unter den obwaltenden Umständen ein so luxuriöses als möglich.« In der Nacht wurde Bourgogne von einem »ungewöhnlichen Geräusch« aus dem Schlaf gerissen: »Es war ein starker Nordwind, der durch den Wald heranbrauste und dichte Schneemassen und eine Kälte von 27 Grad mitbrachte. Die Mannschaften vermochten es nicht mehr, auf ihren Plätzen auszuharren, und schreiend liefen sie irgendeiner Richtung zu, in der sie Feuer sahen. Doch bald von den Schneewirbeln eingehüllt, verloren sie den Lichtschein, irrten umher und gerieten dabei in tiefe Schneewehen, aus denen sie sichbei ihren schwachen Kräften nicht mehr herauszuarbeiten vermochten. Viele Hunderte kamen in dieser Weise um, viele Tausende aber starben auf

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