Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
dem er ausgepolstert war, ab, um die Stücken desselben ihrer Bekleidung so gut es gehen wollte hinzuzufügen, um der Kälte besser widerstehen zu können, und als es nichts mehr zu plündern gab, wurde der Wagen von noch andern durchziehenden Haufen aus dem Wege geschoben und umgestürzt und diente dann vielleicht des Abends als Brennmaterial zum Lagerfeuer. Der bisherige Besitzer desselben mochte nur wenig mitnehmen können, bald verlor er sich im Getümmel und entschwand unsern Blicken.«
Immer wieder kam es dabei auch zu heftigen Auseinandersetzungen mit französischen Offizieren, die offenbar glaubten, so etwas wie ein Herrenrecht über ihre deutschen Verbündeten ausüben zu können, und den westphälischen Kanonieren die besten Pferde ausspannten. Dabei griffen die Deutschen immer häufiger zum Faustrecht, um sich dieser Arroganz zu erwehren. »Einst wurde ein französischer Infanterie-Offizier bei einer solchen Veranlassung so heftig«, berichtet Wesemann,»daß er seinen Degen herausriß und einen Kanonier erstechen wollte. Aber schnell wurde sein Arm von rückwärts gefaßt und festgehalten, und blitzschnell hatten andere Kanoniere seine Degenklinge gefaßt und zerbrochen.«
Die Nacht des 8. November war eine der schlimmsten. Wohl dem, der noch Warmes anzuziehen hatte. Wer versäumt hatte, sich in Moskau mit Pelzen, warmer Kleidung, Handschuhen und Stiefeln einzudecken, hatte nur geringe Aussicht, sie zu überleben. Regimentsarzt Heinrich von Roos, dem sein Mantelsack mit sehr persönlichen Erinnerungsstücken gestohlen worden war, hatte immerhin noch das Glück, einem Soldaten »ein paar Reitstiefel von Samt, mit Flanell gefüttert«, abkaufen zu können, die ihm die Zehen vor dem Erfrieren bewahrten. »Nachdem man nun einige Stunden geschlafen hatte«, berichtet Roos, »graute der Tag. Der General von Kerner ging ins Freie hinaus und kam nach einer langen Weile in einer Gemütsstimmung zurück, als ob er eine große Angst überstanden hätte. Endlich sprach er die Worte: ›Nun habe ich das Schrecklichste in meinem Leben gesehen. Draußen auf der Ebene liegen unsere Leute, wie sie sich abends um die Feuer gelagert haben, erstarrt, erfroren und tot umher.‹ Beim frühen Abmarsch am 8. November führte uns unser Weg über diese Ebene. Eine Menge Leichen von verschiedenen Truppen lagen in der Runde um erloschene Feuer umher, die, aus abgehauenen, nicht trockenen Baumästen angemacht, viel zu wenig Wärme erzeugen konnten, um bei der strengen Kälte das schwache Leben der Hungrigen und Müden, die das Holz herbeigeschafft hatten, fristen und erhalten zu können. Auf diesem Lagerplatze lagen mehr als 300 Leichen, und viele sahen wir noch an der Straße liegen; unter ihnen rührte sich kein Lebender mehr. (…) In dieser schrecklichen Nacht verlor auch die Armee die meisten Pferde durch Frost.«
Für Leutnant Karl von Kurz habe die ganze 40 Stunden lange Strecke von Wjasma bis Smolensk »das Ansehen eines unermeßlichen Kirchhofs« gehabt. Raben »in unglaublicher Menge« folgten den Soldaten, die nach den Resten abgenagter Pferdeskelette suchten. »Auch ganze Scharen von den in Rußland einheimischen großen und langbehaarten Windhunden, die die brennenden Städte und Dörfer verließen, rannten heulend dem Heere auf der Landstraße nach und fielen, vom Hunger halb wütend, über die Leichen von Menschen und Pferden her.«
Christian Wilhelm von Faber du Faur: An der Straße bei Pnewa, den 8. November 1812. – An einem von den Trümmern einer Geschützlafette genährten Feuer wärmt sich Napoleon (mit Pelmütze); neben ihm Joachim Murat (mit weißem Federbusch) und zwei Generale. Links ziehen die Reste der einst so großen Armee vorbei. »Schlecht gekleidet, meist ohne gute Fußbekleidung, ohne Nahrung und ohne stärkende Getränke zog alles stumm in die weite Schneefläche hin«, vermerkt Christian von Martens in seinem Tagebuch.
Immer wieder versuchten einzelne Trupps in den Dörfern längs der Heerstraße Nahrung zu finden. Sie fanden aber eher den sicheren Tod durch Kosaken und Bauernpartisanen. Regimentsarzt von Roos berichtet von zwei Soldaten, »halb angekleidet wie atemlos gelaufen«, die entkommen konnten, als sie »von mit Piken und Beilen bewaffneten Bauern angefallen und umringt worden waren. Die meisten ihrer Kameraden wären auf dem Platz erstochen worden und sie nur mit vielerMühe der Gefahr entgangen«. Die Entkommenen hatten Glück. Ein russischer Stabsoffizier von der Avantgarde des
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