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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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ihren Plätzen in hoffnungsloser Ergebung. Was uns betraf, so konnten wir uns glücklich preisen, durch die eine Seite der Scheune vor dem eisigen Winde geschützt zu sein. Mehrere Leute suchten bei uns Zuflucht und entgingen dadurch dem Tode.«
    In Bourgognes Aufzeichnungen findet sich auch das ungewöhnliche Beispiel, wie Soldaten in dieser Sturmnacht ihr Leben für Prinz Emil von Hessen-Kassel einsetzten, der mit seinem Kontingent einen Teil der Armee bildete. »Sein kleines Korps bestand aus mehreren Regimentern Infanterie und Kavallerie. Er biwakierte mit dem Rest seiner auf fünfhundert bis sechshundert Mann zusammengeschmolzenen Truppen ganz in unserer Nähe. Unter denselben befanden sich noch etwa 150 Dragoner, aber fast alle unberitten, da ihre Pferde gefallen oder geschlachtet waren. Diese braven Soldaten, die bei dem schrecklichen Wetter ihre Lagerstellen verlassen mußten, um nicht unter dem Schnee begraben zu werden, opferten ihr Leben, um das ihres jugendlichen, kaum zwanzig Jahre zählenden Prinzen zu retten, indem sie ihn in ihre Mitte nahmen, Wind und Kälte von ihm abzuhalten. In ihre großen weißen Mäntel gehüllt, scharten sie sich dicht gedrängt um ihn und schützten ihn auf diese Weise wie eine Mauer, die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Morgen waren dreiviertel tot und gleich zehntausend anderen unter dem Schnee begraben.«
    Meist aber führte der Wille zum Überleben zum Kampf aller gegen alle, und Bourgogne erlebte ebenso auch ein besonders grausiges Beispiel von Roheit und brutaler Rücksichtslosigkeit. Er und seine Kameraden entdeckten ein Blockhaus, wie sie damals an der Heerstraße als Relaisstation für Feldpost und Kuriere errichtet worden waren und zur Sicherung der Verbindungswege einer kleinen Truppe samt Pferden Platz boten. Nun war dieses Haus längst von Menschen undPferden beim Rückzug überfüllt, auch wenn die von Bourgogne genannte Zahl von 800 Menschen doch wohl übertrieben genannt werden muß. Als nun die Draußengebliebenen versuchten, das Dach abzudecken, um an Feuerholz zu kommen, und die Außenverkleidung abzureißen, drohten die im Haus Verschanzten, auf alle zu schießen, die das versuchen würden.
    »Es mochte elf Uhr sein, als wir plötzlich durch Lärm aufgeschreckt wurden. Die Pferde, welche an der Innenseite des Tores, an dessen Außenseite wir lagen, angebunden waren, trampelten und suchten sich offenbar loszureißen. Ein furchtbarer Tumult ließ sich hören. Qualm drang zu uns heraus. Das Stroh hatte an mehreren Stellen Feuer gefangen. Alle Versuche, die Tore von innen zu öffnen, scheiterten an der Tollheit der Pferde und dem Umstande, daß die Leute, um ein weiteres Eindringen anderer zu verhindern, die Tore noch durch schwere Querbalken geschlossen hatten. Dies verhinderte auch das Öffnen von außen, welches wir sofort versuchten. Inzwischen wurde der Qualm immer dicker; das Geheul und Geschrei der Eingeschlossenen klang nicht mehr menschlich; sie versuchten, sich einen Ausweg durch das Dach zu schaffen, doch als dadurch Luftzug entstand, schlugen die Flamen gleich hoch empor und rissen diejenigen Leute, die mit brennenden Kleidern und abgesengtem Haar sichtbar geworden waren, wieder herab. Innerhalb zwei Minuten war nunmehr das ganze Haus ein Feuermeer und mit den darin befindlichen, vor Schmerz und Qual heulenden und rasenden Menschen ein echtes Bild der Hölle.
    Mit vieler Mühe gelang es unsern Anstrengungen endlich, ein Brett loszureißen und durch die dadurch entstandene Öffnung sieben Menschen zu retten. Sie hatten alle mehr oder weniger schwere Brandwunden und waren mehr tot als lebendig. Noch andere auf diese Weise zu retten erwies sich als unmöglich, denn sie lagen quer vor der Spalte und waren schon von dem Qualm und dem Gewicht der auf ihnen Liegendenhalb erstickt. Wir mußten sie mit den übrigen verbrennen lassen. Mehreren gelang es zwar schließlich doch noch, sich durch das Dach zu arbeiten und von diesem herabzuspringen, sie waren aber fast alle derartig verbrannt, daß sie uns anflehten, ihren Leiden durch eine Kugel ein Ende zu machen.
    Der Schein der Feuersbrunst lockte vereinzelte Soldaten verschiedener Regimenter, die in der Nähe umherlagen und an ihren erlöschenden Feuern dem Erfrieren nahe waren, herbei, nicht aber um Hilfe zu leisten, sondern um sich zu wärmen und Stücke Pferdefleisch auf den Spitzen ihrer Bajonette oder Säbel in die Glut zu halten und zu rösten. Wenn man sie sah und hörte, hätte man meinen mögen,

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