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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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seines Regiments außerhalb von Smolensk biwakieren. Einer seiner Kameraden hatte, so unglaublich es klingt, tatsächlich ein Fäßchen Rheinwein aus seiner Heimat geschickt bekommen und lud nun seine Kameraden zum Zechen ein: »Im traulichen Kreise, auf dem von Eis und Schnee bedeckten Boden des hohen Nordens gelagert, schlürften wir den Nektar, den die freundlichen Ufer des vaterländischen Stromes uns boten. Es waren große überglückliche Momente, die den armen Duldern der traurigen Öde die Bilder der fernen Heimat vergegenwärtigten; Momente der Freude, die den Schmerz eines unsäglichen Mißgeschickes unterbrachen. Wirtranken und brachten, vom Gefühl unserer trostlosen Lage hingerissen, dem Vaterlande, das wir nie zu erreichen, den Freunden, die wir nie mehr zu sehen hoffen konnten, das letzte Lebewohl und uns selbst den ernsten Scheidegruß für dieses Leben.«
    Leutnant von Suckow erzählt, wie sich die hungernden Soldaten in kulinarischen Phantasien ergingen, so ein Hauptmann seines Regiments, der aus Schwäbisch Gmünd kam: »Seine Phantasie malte sich die Vorbereitungen, welche jenem projektierten lukullischen Mahle vorausgehen sollten, lebhaft aus. ›Ich setze mich in den Gasthof Zur Post oder Zum Rad an einen schön gedeckten Tisch, verlange vom Kellner die Speisekarte und wähle das Delikateste aus, was sie enthält. Dazu nun einen Schoppen Uhlbacher – denken Sie sich, meine Herren, einen Uhlbacher! Sie kennen ja alle diesen vortrefflichen Rebensaft!‹ – So und ähnlich fuhr er fort, glücklich zu träumen. – Der Refrain lautete aber immer: ›Vor allem muß mir meine Frau, sowie ich nach Hause komme, sogleich einen Zwiebelkuchen backen.‹ Sehr übel pflegte er es aufzunehmen, wenn wir ihm erwiderten, die Zwiebeln zu jenem Kuchen dürften wohl kaum schon gepflanzt sein. Und doch hatten wir leider recht. Der Arme starb in der Gefangenschaft im Spital zu Wilna, ohne Gmünd, Gattin und Zwiebelkuchen jemals wiederzusehen.«
    Einmal geriet von Suckow an das Biwakfeuer bayerischer Chevaulegers, die den Württemberger gutmütig duldeten, und hörte diesen Dialog: »Das heftige Schneegestöber verhinderte das helle Auflodern einer erwärmenden Flamme, und trübe gestimmt, vom Frost durchschauert, im tiefen Schweigen, schauten alle in das rauchende Feuer. Da erschallte plötzlich eine dumpfe Stimme aus unserem Kreise; es war diejenige eines Chevaulegers, welchen ich mit A. bezeichnen will. A.: ›Aber das ist ä Sauleben!‹ – Sein Kamerad B. antwortete: ›Das ist freilich a rechts Sauleben.‹ – A.: ›Jetzt möcht i no beim Storchenwirt sitzen in Augsburg.‹ – B.: ›I wollt emal gar nix sagen vom Storchenwirt, wenn i no beim Bräu säß.‹«
    Stendhal schreibt am 9. November aus Smolensk an einen Freund: »Nun bin ich wieder in dieser malerischen Stadt, die mir in dieser Hinsicht immer noch einzigartig scheint. Der Schnee erhöht die Wirkung der baumbestandenen Schluchten, in deren Mitte sie gebaut ist. Es herrscht nur ein leichter Frost von zwei oder drei Grad, aber da wir in Rußland sind, glaubt ein jeder, er sei erfroren. Unsere Gedanken beschränken sich auf unser körperliches Befinden: Stiefel, einen Pelzmantel haben oder nicht haben, das ist eine wichtige Sache. Seit zwanzig Tagen war es mir nicht möglich, Dir zu schreiben. Es gab Augenblicke, in denen ich gern die Erinnerung an das, was ich in meiner Seele oder um mich herum sah, bewahrt hätte, unmöglich, zu schreiben. Heute ist all das Erhabene in meiner Seele erneut lahmgelegt durch die aufgezwungene Gesellschaft, ich will nicht sagen, dieses oder jenes Menschen, sondern der Menschen. Da ich ohne Schutzschild bin, fällt aller Ärger direkt auf meine Seele, die davon ganz platt gedrückt wird, das ist übrigens der Zustand, in dem mich zu befinden ich gleich die Ehre haben werde, wenn ich mich neben zwei gutmütige Kerle auf den Fußboden einer kleinen Kammer lege, neben einem Zimmer, in dem acht oder zehn Kollegen auf die gleiche Weise schlafen. Das alles geschieht nicht fröhlich, sondern mit Leuten, die ihre Verbitterung ob der schlimmen Umstände nur mit einer durchsichtigen Tünche verdecken. Ich habe festgestellt, daß die Soldaten, die aus ihrer schlechten Lage einen Ehrenumstand machen, ihr mit gleichbleibender Fröhlichkeit begegnen. Vermutlich offenbart sich diese Fröhlichkeit zunächst bei jungen Menschen und bei den andern Altersgruppen erst nach einem wirklich schmerzlichen Unglück. Genährt wird sie durch

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