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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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des Zaren auch ziemlich gleichgültig, denn niemand kontrollierte dessen Einhaltung, außerdem hielten die Bauern diese Anordnung »für eine Beleidigung des rächenden Gottes Rußlands, wodurch sie sich seines weiteren Schutzes berauben würden«. Das Martern und Morden ging ungehindert weiter.
    In Dorogobusch fand die Grande Armée nur noch rauchende Trümmer und geplünderte Magazine: Napoleons Garde marschierte an der Spitze und nahm – wie schon vorher in Wjasma – nicht die geringste Rücksicht auf die ihnen nachfolgenden Truppen. Der russische Major Woldemar von Löwenstern hatte kurz nach der Einnahme der Stadt durch Kutusows Armee ein drastisches Beispiel des Hasses auf die Invasoren erlebt. Eine Abteilung französischer Infanteristen, die den Abzug ihrer Kameraden deckte, hatte darüber den eigenen Rückzug versäumt und war in der Vorstadt, wo von Löwenstern sein Quartier suchte, ohne es zu merken, abgeschnittenworden: »So armselig war ihr Zustand, daß sie auf mein Erscheinen gar nicht achthatten, und als ich selbfünfen in ein Haus trat, darin sich ein Dutzend von ihnen einquartiert, ließen sie sich ohne Widerstand hinaustreiben. Der Herr des Hauses, ein Kleinbürger, hatte früher im Heer gedient und konnte, wie es sich bald zeigte, leicht in patriotischer Gesinnung auflodern. Kaum hatte er mich als einen Offizier des russischen Heeres erkannt und mein Ordenskreuz erblickt, als er, tief sich verneigend, mich demütig grüßte und sich bekreuzigte, dann aber plötzlich aufraffte, ein Messer ergriff, hinaus auf die Straße rannte und mit solcher Wut und Schnelligkeit vier Franzosen niederstach, daß ich ihn daran gar nicht zu verhindern vermochte. Nachdem solches geschehen, erhob er ein furchtbares Geschrei, rief die Nachbarn aus ihren Häusern hervor und forderte sie auf, die Fremdlinge alle niederzumachen. Selbst fuhr er fort, jeden Franzosen, dessen er ansichtig ward, mit seinem Messer niederzustechen. Bald fand er Nachahmer, und ein grauenhaftes Gemetzel begann auf den Straßen und in den Häusern. Die Franzosen, meist unbewaffnet, ermüdet, abgehungert, waren nicht imstande, der plötzlich erwachten Wut Widerstand zu leisten, und suchten sich über Zäune hinüber ins Weite zu retten. Was nicht auf solche Art entkam, fiel den Würgern in die Hände, die nicht aufzuhalten und zu beschwichtigen waren.
    Nach einer Weile kam mein Wirt zurück, das blutige Messer in der Hand und sich rühmend, es zwanzig Franzosen ins Herz gestoßen zu haben. Er wischte es ab und legte es unter sein Kopfkissen, bekreuzte sich vor den Heiligenbildern, die in großer Anzahl im Zimmer aufgestellt waren, und sagte mir dann: ›So oft habe ich zu Gott gefleht, mich mein Messer gegen die Unchristen brauchen zu lassen, die unser Land entweihen und unsere Kirchen besudeln; endlich ist mein Gebet erhört worden; die Hoffnung, mit der ich mein Messer angeblickt all die Zeit über, daß die Unchristen hier hausten und den Herrn machten, ist allendlich in Erfüllung gegangen.Gelobt sei der Allerhöchste, der Heiland und alle Heiligen!‹
    Dies sagte er in fanatischer Begeisterung, sein Auge brannte, seine Glieder zitterten. Aber die Fassung kehrte wieder, und er setzte hinzu: ›Herr, Sie sind der erste, den ich von dem siegenden wiederkehrenden Heere unsers allergnädigsten Kaisers erblicke, alles was ich besitze ist Euer, nehmt davon, was Ihr brauchen könnt!‹ – Was konnte ich dem Manne, dessen Benehmen gegen einen wehrlosen Feind ich höchst mißbilligte, in meiner Lage, bei den umringenden Umständen sagen und vorhalten? Es war das Rasen des Kriegsdämons, aufgestachelt durch Fanatismus, tiefverletzten Nationalgeist, bitteres Leiden unter aufgedrängter, übermütiger Fremdlingsherrschaft. Wer hätte vermocht, es zu bändigen und zu welchem Ende? Die Opfer lagen schon gemordet und hingewürgt.«
    Sonderlich gut verpflegt war die russische Armee nicht, aber sie mußte nicht hungern, auch wenn sie bereits zunehmend Opfer durch die wachsende Kälte und Erschöpfung hinnehmen mußte. Stabsoffizier Friedrich von Schubert hatte an den Kämpfen um Wjasma teilgenommen und abends ein wenig delikates Erlebnis: »Unsere Truppen, die vom Morgen an im Gefecht gewesen waren, bezogen ein Biwak vor der Stadt, und wir (der Generalstab von Korff) nahmen matt und müde ein Haus der Stadt in der Nähe ein, um etwas zu schlafen und vorher ein Glas Tee zu trinken. Das Haus bestand aus ausgebrannten Wänden (…), doch waren wir auch mit

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