Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
drohte ihr raffinierter Plan alles zu verderben …
Und jetzt saß sie im Restaurant und wartete auf ihn. Sie drückte ihre Zigarette aus und nahm den Brief aus ihrer Handtasche. Sie nahm das Schreiben aus dem Umschlag und las es noch einmal. Ein Stellenangebot in einer Pension namens »Sea Blue«. Jimmy hatte die Anzeige in der Zeitung gefunden und sie für sie ausgeschnitten. »Klingt großartig, Doll«, hatte er gesagt. »Ein hübsches Dorf an der Küste … Möwen, salzige Luft, Eiscreme … Und ich könnte dort Arbeit finden als … na ja, ich finde schon irgendwas.« Dolly konnte sich eigentlich nicht richtig vorstellen, wie sie hinter blassen Urlaubern mit Sand in Schuhen und Haaren aufräumen sollte, aber Jimmy hatte bei ihr gestanden, bis sie die Bewerbung geschrieben hatte, und irgendwie hatte es ihr sogar gefallen, ihn so energisch zu erleben. Sie hatte sich schließlich gesagt, warum nicht? So würde Jimmy Ruhe geben, und falls sie die Stelle bekam, konnte sie immer noch heimlich antworten und sie ablehnen. Sie hatte sich gesagt, dass sie es nicht nötig hatte, so eine Stelle anzunehmen, jedenfalls nicht, wenn sie Vivien endlich das Foto zuspielen würden …
Die Tür des Restaurants öffnete sich, und Jimmy trat ein. Sie sah sofort, dass er gerannt war – weil er es nicht erwarten konnte, sie zu sehen, so hoffte sie. Dolly winkte und sah ihm zu, wie er sich zwischen den Tischen hindurch seinen Weg bahnte. Das dunkle Haar war ihm ins Gesicht gefallen, was ihm gut stand, es verlieh ihm etwas Verwegenes. »Hallo, Doll«, sagte er. »Bisschen warm für Pelz, meinst du nicht?«
Dolly lächelte und schüttelte den Kopf. Er nahm ihr gegenüber Platz und winkte der Kellnerin.
Dolly wartete, bis er sich einen Tee bestellt hatte, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie holte tief Luft und sagte: »Ich hab eine Idee.« Er wurde sofort misstrauisch, und das zu spüren, versetzte ihr einen Stich. Sie streichelte ihm die Hand. »Ach, Jimmy, es ist nicht, was du denkst …« Sie brach ab und biss sich auf die Lippe. »Ich habe nachgedacht. Über den Plan .«
Als er abwehrend das Kinn hob, fuhr sie hastig fort: »Ich dachte, dass es vielleicht doch nicht so eine gute Idee ist. Das mit dem Treffen und dem Foto, meine ich. Vielleicht sollten wir das einfach vergessen.«
»Wirklich?«
Sie nickte, und sie sah ihm an, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. »Ich hätte das nie von dir verlangen dürfen …« Die Worte sprudelten jetzt nur so aus ihr heraus. »Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Diese Sache mit Lady Gwendolyn, der Tod meiner Familie … ich glaube, das alles hat mich einfach ein bisschen aus der Bahn geworfen, Jimmy.«
Er kam um den Tisch herum, setzte sich neben sie und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Seine dunklen Augen suchten ihren Blick. »Meine arme Kleine.«
»Ich hätte das nie von dir verlangen dürfen«, sagte sie noch einmal, und er küsste sie. »Es war nicht richtig. Es tut mir …«
»Schsch«, sagte er, ganz ergriffen vor Erleichterung. »Denk nicht mehr darüber nach. Das gehört der Vergangenheit an. Wir beide müssen das alles hinter uns lassen und in die Zukunft blicken.«
»Ja, das wird das Beste sein.«
Er lehnte sich zurück, um sie zu betrachten, dann schüttelte er den Kopf und lachte erleichtert und froh. Sein Lachen klang so schön, dass es Dolly einen wohligen Schauder über den Rücken jagte. »Aber jetzt zu deiner Idee«, sagte er schließlich. »Du wolltest mir doch etwas sagen …«
»Ja«, sagte Dolly aufgeregt. »Das Theaterstück, das ihr aufführt … Eigentlich müsste ich arbeiten, aber ich dachte, ich könnte ja ausnahmsweise mal schwänzen und stattdessen mit dir zu der Vorstellung gehen.«
»Wirklich?«
»Warum nicht! Dann könnte ich auch Nella und die anderen Kinder endlich kennenlernen. Und wann krieg ich denn sonst mal Gelegenheit, meinen Liebsten als Tinkerbell zu bewundern?«
Die erste und einzige Aufführung von Peter Pan durch die jungen Schauspieler aus Dr. Tomalins Kriegswaisenkrankenhaus war ein voller Erfolg. Die Kinder flogen und kämpften und verwandelten das verstaubte Dachgeschoss mit ein paar alten Möbeln und Laken in ein Märchenland. Diejenigen, die zu krank waren, um mitzumachen, saßen im Publikum und klatschten und jubelten. Und Jimmy machte seine Sache als Tinkerbell bewundernswert gut. Zu seiner großen Überraschung bauten die Kinder hinterher das Schild mit dem Namen Jolly Roger ab, ersetzten es
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