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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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an.
    Die beiden Polizisten tauschten einen Blick, der Ältere nickte kurz, und der Jüngere klappte sein Notizheft zu. Das Verhör war beendet.
    Später saß Laurel in ihrem Zimmer auf der Fensterbank, kaute an ihrem Daumennagel und beobachtete die drei Männer am Tor. Sie redeten nicht viel, aber hin und wieder sagte der ältere Polizist etwas, und ihr Vater antwortete und zeigte auf verschiedene Dinge am dunklen Horizont. Sie hätten sich über Anbaumethoden unterhalten können, über den außergewöhnlich warmen Sommer oder über die Geschichte der Landwirtschaft in Suffolk, aber Laurel bezweifelte, dass das Gespräch sich um derartige Themen drehte.
    Ein Kleinbus kam die Einfahrt heraufgefahren, und der jüngere Polizist ging ihm quer durch das hohe Gras entgegen und zeigte hinter das Haus. Laurel beobachtete, wie der Fahrer ausstieg, wie die hintere Klappe geöffnet und eine Bahre herausgezogen wurde, wie das weiße Laken (das gar nicht so weiß war, wie sie jetzt bemerkte, sondern über und über mit rostbraunen Flecken beschmutzt) im Wind flatterte, als es durch den Garten getragen wurde. Die Bahre wurde auf die Ladefläche geschoben, dann fuhr der Wagen weg. Die Polizisten verabschiedeten sich, und ihr Vater kam ins Haus. Die Haustür wurde geschlossen; das ließ immer ihren Fußboden erbeben. Stiefel wurden abgeschüttelt – einer, noch einer –, und dann waren weiche Schritte zum Wohnzimmer zu hören, wo ihre Mutter immer noch in ihrem Sessel saß.
    Laurel zog die Vorhänge zu und wandte sich vom Fenster ab. Die Polizisten waren fort. Sie hatte die Wahrheit gesagt; sie hatte genau beschrieben, woran sie sich erinnerte, alles, was passiert war. Warum fühlte sie sich dann so komisch? So, als hätte sie etwas Verbotenes getan?
    Sie legte sich aufs Bett und rollte sich zusammen, die Hände zwischen den Knien. Sie schloss die Augen, machte sie jedoch sofort wieder auf, um nicht das Blitzen der Klinge zu sehen, das weiße Laken und das Gesicht ihrer Mutter, als der Mann ihren Namen aussprach …
    Laurel erstarrte. Der Mann hatte ihre Mutter mit Namen angesprochen.
    Das hatte sie dem Polizisten nicht gesagt. Er hatte sie gefragt, ob sie sich noch an etwas anderes erinnere, irgendetwas, das sie gesehen oder gehört habe, und sie hatte Nein gesagt, mehr wisse sie nicht. Aber sie wusste etwas, da war noch etwas gewesen …
    Die Tür ging auf, und Laurel setzte sich hastig auf, halb in der Erwartung, dass der Polizist noch einmal zurückgekommen war. Aber es war nur ihr Vater, der ihr sagte, er gehe zu den Nachbarn, um ihre Schwestern zu holen. Ihre Mutter habe den Kleinen schlafen gelegt und ruhe sich jetzt aus. Er blieb zögernd in der Tür stehen, klopfte nervös mit der Hand gegen den Rahmen. Als er schließlich sprach, war seine Stimme heiser.
    »Das war ein Schock heute Nachmittag. Das war ein ganz schrecklicher Schock.«
    Laurel biss sich auf die Lippe. Tief in ihrem Innern drängte ein Schluchzer nach oben.
    »Deine Mutter ist eine tapfere Frau.«
    Laurel nickte.
    »Sie ist eine Überlebenskünstlerin, und das bist du auch. Du hast deine Sache mit den Polizisten gut gemacht.«
    Tränen brannten ihr in den Augen. »Danke, Dad«, murmelte sie.
    »Die Polizisten meinen, es ist wahrscheinlich der Kerl, von dem in den Zeitungen berichtet wurde, der sich seit einiger Zeit am Bach herumtreibt. Die Beschreibung passt, und es gibt ja sonst niemanden, der herkommen würde, um deiner Mutter etwas zuleide zu tun.«
    Also genau so, wie sie vermutet hatte. War ihr nicht, als sie den Mann gesehen hatte, sofort der Gedanke gekommen, es könnte der Kerl aus der Zeitung sein? Plötzlich fühlte Laurel sich erleichtert.
    »Hör zu, Lol.« Ihr Vater steckte die Hände in die Hosentaschen und sah unschlüssig zu Boden, ehe er fortfuhr. »Deine Mutter und ich, wir haben uns überlegt, dass es besser wäre, deinen Schwestern nichts von dieser Sache zu erzählen. Es besteht keine Notwendigkeit dazu. Sie sind noch so jung und würden es sowieso nicht verstehen. Ich wünschte, du wärst ebenfalls weit weg gewesen heute Nachmittag …«
    »Tut mir leid.«
    »Dir braucht überhaupt nichts leidzutun. Es ist nicht deine Schuld. Du hast der Polizei geholfen und deiner Mutter auch, und jetzt ist es vorbei. Ein böser Mann war hier, aber jetzt ist wieder alles in Ordnung. Es wird alles wieder gut.«
    Es war eigentlich keine Frage, aber es hörte sich so an, und deswegen antwortete Laurel. »Ja, Daddy, es wird bestimmt alles wieder

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