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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Pläne, New York zu verlassen, Mr Morales?«
    »Nein, Pater«, sagte Alex.
    »Na dann«, sagte Pater Mulrooney. »Wir sehen uns später beim Lateinunterricht.«
    »Ja, Pater«, sagte Alex. Seit vom Laien-Kollegium niemand mehr übrig war und vom geistlichen auch nur noch drei ältliche Priester, wurde an der St. Vincent de Paul Academy fast nur noch Theologie, Latein und Kirchengeschichte unterrichtet. Aber Alex störte das nicht. Für ihn hatten diese Fächer etwas Tröstliches, eine Rückwärtsgewandtheit, die angesichts der beängstigenden Gegenwart und Zukunft geradezu beruhigend wirkte.
    »Leichen-Shopping«, sagte er, an Kevin gewandt. »Klingt nach einem Riesenspaß.«
    »Du wirst begeistert sein«, sagte Kevin. »Bring einen Mundschutz und einen Müllsack mit. Ich sorge für die Gummihandschuhe. Und vergiss nicht, bei deinem Nachtgebet um eine Ladung frischer Leichen zu bitten.«
    Alex holte tief Luft. »Abgemacht«, sagte er. Was sie auch immer genau vorhatten, Kevin hielt es offenbar für aussichtsreich.
    Dienstag, 9 . August
    »Alles klar«, sagte Kevin am nächsten Morgen um sieben. »Mundschutz und Müllsack. Du bist ausgerüstet. Hier sind die Gummihandschuhe.«
    »Ich hab Mentholbalsam dabei«, sagte Alex und hielt Kevin das Tütchen hin. »Davon kannst du dir ein bisschen unter die Nase reiben. Gegen den Gestank.«
    »Gute Idee«, meinte Kevin, während er seine Haut damit bestrich. »Also dann. Wir machen halbe-halbe, okay? Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, teilen wir uns die Beute. Ich zeig dir dann, wo man sie gegen Lebensmittel oder sonst irgendwas eintauschen kann.«
    »Keine Einwände«, sagte Alex.
    »Also dann«, sagte Kevin. »Los geht’s. Fangen wir gleich hier auf der 88 th an?«
    »Nein«, sagte Alex. »Lieber auf der 89 th.«
    Kevin grinste. »Das ist ein Tabu, hab ich Recht?«, sagte er. »Leichen-Shopping in der eigenen Straße. Mir geht’s genauso, obwohl ich keinen Grund dafür nennen kann. Pater Mulrooney könnte uns das sicher erklären.«
    Die Jungen liefen die West End Avenue bis zur 89 th Street hinauf. Auch hier lagen schon einige Leichen herum, aber Kevin lief unbeirrt an ihnen vorbei.
    »Lohnt sich nicht«, erklärte er. »Mit der Zeit kriegt man einen Blick dafür. Das Glitzern einer Uhr ist ein gutes Zeichen. Uhren sind immer gut, aber Schuhe sind noch besser und alles, was man in einer Brieftasche findet: Bargeld, Ausweise und so weiter. Auch für Mäntel gibt es einen wachsenden Markt. Je kälter es wird, desto größer die Nachfrage.«
    »Und das alles kann man dann gegen Lebensmittel eintauschen?«, fragte Alex. Die Rationen in den Freitagstüten wurden immer kleiner, und obwohl er nur noch selten zu Abend aß und jeden Samstag fastete, reichte es kaum noch für Julie.
    Kevin nickte. »Siehst du auch, was ich sehe?«, fragte er dann und wies auf eine Leiche auf halber Höhe des Blocks. »Das ist eine ganz frische.« Er rannte los und Alex folgte ihm.
    Es war ein Mann, vollständig bekleidet, aber ohne Mantel.
    »Ich wette, den haben sie hier gerade erst hingelegt«, sagte Kevin. »Der stinkt noch kein bisschen, aber vielleicht liegt das auch am Menthol. Nimm du die Uhr; ich durchsuch seine Taschen.«
    Alex bat Gott um Vergebung und löste die Uhr vom Handgelenk des Toten.
    »Nichts«, sagte Kevin achselzuckend. »Das hält jede Familie anders. Manche sind der Meinung, ein Ausweis könnte den Toten noch irgendwie nützlich sein, bevor sie ins Krematorium wandern. Andere wollen unbedingt verhindern, dass jemand ihre Anschrift erfährt. Das gilt vermutlich auch für diesen hier. Jetzt die Schuhe. Ziemlich teuer. Ich versteh nicht, warum sie die nicht behalten haben.«
    Alex zog der Leiche den linken Schuh aus, während Kevin sich um den rechten kümmerte.
    »Die sind für dich«, sagte Kevin. »Steck sie in deine Tüte. Ist das da drüben auch eine Leiche?«
    »Ich glaub schon«, sagte Alex. »Eine Frau.«
    »Männer sind besser als Frauen«, sagte Kevin. »Die Nachfrage nach Männerschuhen ist größer. Aber wir sehen trotzdem mal nach.«
    Sie überquerten die Straße und gingen auf die Leiche zu. Alex konnte sie schon von weitem riechen.
    »Das ist eine, die stinkt«, sagte Kevin. »Und sich nicht lohnt. Siehst du, die Schuhe sind schon weg.«
    »Was meinst du, wie lange die hier schon liegt?«, fragte Alex, den bitteren Geschmack von Galle im Mund. Die Ratten hatten bereits große Löcher in den Körper gefressen und an einigen Stellen ragte der blanke Knochen

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