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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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denn sonst noch so an Echtnahrung zu bieten?«
    »Na schön, dann leg ich noch zwei Dosen Lachs drauf«, sagte Harvey. »Und ausnahmsweise, aber wirklich nur ausnahmsweise, eine Dose Hühnersuppe.«
    Kevin nickte fast unmerklich.
    »Abgemacht«, sagte Alex. Er schob die Brieftasche wieder über den Tresen und stopfte die Lebensmittel in den Müllsack.
    »War mir ein Vergnügen, mit dir Geschäfte zu machen«, sagte Harvey. »Und Kevin, das nächste Mal bringst du mir gefälligst einen Trottel, verstanden? Ich muss schließlich von irgendwas leben.«
    »Ach, geben Sie’s zu, Sie handeln doch gern«, sagte Kevin. »Wir sehen uns, Harvey.«
    »Bis dann, mein Junge«, sagte Harvey.
    Kevin und Alex traten auf die Straße. »Geh zügig, aber nicht zu schnell«, wies Kevin Alex an. »Es sind schon Leute für weniger als zwei Flaschen Wodka getötet worden.«
    »Du hast doch deine Pistole«, wandte Alex ein.
    »Hey, stimmt ja«, sagte Kevin. »Aber ich weiß nicht mal, ob sie geladen ist.«
    »Wieso hast du die nicht eingetauscht?«, fragte Alex.
    »Bei uns bringt mein Vater die Brötchen nach Hause«, antwortete Kevin. »Bildlich gesprochen natürlich. Er hat ein Transportunternehmen. Daley Trucks. Deshalb sind wir auch immer noch hier, weil zurzeit natürlich jede Menge Zeug aus New York rausgeschafft werden muss. Wir sind also bestens versorgt.«
    »Und für wen ist der Wodka?«, fragte Alex.
    Kevin runzelte die Stirn. »Für meine Mutter«, sagte er. »Der ist ihr inzwischen wichtiger als Hühnersuppe. Mein Vater hat’s noch nicht gemerkt, also sorg ich für den Nachschub.«
    Schweigend liefen die beiden bis zur West End Avenue und dann die wenigen Blocks nach Süden, in Gedanken bei ihren Angehörigen und deren unterschiedlichen Bedürfnissen.
    »So, das war’s«, sagte Kevin, als sie an der 88 th Street standen. »Kommst du morgen wieder mit?«
    »Meinst du, dann gibt es schon wieder neue Leichen?«, fragte Alex.
    Kevin lachte. »Wir könnten jetzt gleich zum Riverside Drive zurückgehen und würden schon wieder ein paar frische finden«, sagte er. »Die Leute sterben im Moment wie die Fliegen.«
    Alex dachte daran, dass Julie und er heute nicht hungrig ins Bett gehen würden. »Selbe Zeit, selber Ort?«, fragte er.
    »Ist gut.« Kevin nickte. »Ich will schließlich nicht zu spät zu Theologie kommen.«
    »Also dann, bis morgen«, sagte Alex. »Und danke.«
    »Keine Ursache, Morales«, sagte Kevin. »Hat Spaß gemacht. Lasst’s euch schmecken.«
    »Das werden wir«, sagte Alex, und zum ersten Mal, seit er mit Bri gesprochen hatte, empfand er so etwas wie Glück.

 
    ZEHN
    Montag, 29 . August
    »O Alex!«, rief Julie und warf sich ihrem Bruder weinend in die Arme.
    Alex blickte auf seine kleine Schwester hinunter. In den drei Monaten, seit das alles passiert war, hatte er sie noch kein einziges Mal weinen sehen oder auch nur hören. Jammern, klagen, schmollen, schreien und zetern, das ja, aber niemals weinen. Nicht, als sich abzeichnete, dass weder ihr Vater noch ihre Mutter je zurückkommen würden. Nicht, als Bri fortgegangen war. Nicht, als sie von Onkel Jimmys Abreise erfahren hatte. Und auch nicht, wann immer sie hungrig, einsam oder verängstigt gewesen war. Und nun stand sie hier und weinte ohne jeden ersichtlichen Grund.
    »Was ist denn los?«, fragte er und führte sie sanft vom Schulgebäude weg. »Ist jemand gestorben?«
    Julie schüttelte den Kopf, aber sie konnte nicht aufhören zu weinen, und ihre Tränen trafen Alex ins Herz, mehr, als die von Bri es je getan hatten.
    »Der Garten«, brachte sie schließlich mühsam heraus. »Übers Wochenende ist alles erfroren. Alles, das ganze Gemüse. Auch meine grünen Bohnen. Ich wollte so gern, dass du meine grünen Bohnen isst, und jetzt sind sie alle tot.«
    Alex sah die toten Bohnen in endlosen Reihen im Yankee-Stadion aufgebahrt. »Du weinst wegen der grünen Bohnen?«, fragte er. »Letzten Freitag hatten wir doch noch welche, aus der Dose.«
    »Ich hasse dich!«, schrie Julie. »Du verstehst überhaupt nichts!«
    »Ich versteh jede Menge«, sagte Alex. »Ich verstehe, dass du traurig bist, schließlich hast du den ganzen Sommer in diesem Garten gearbeitet.« Er war stehen geblieben, doch die umherhuschenden Ratten veranlassten ihn, weiterzugehen. »Du bekommst aber weiterhin dein Essen, oder?«, fragte er. »Du kannst doch nichts dafür, dass du jetzt keine Arbeit mehr hast.« Er wollte lieber nicht so genau über die Folgen nachdenken, falls Julie kein

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