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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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bevor Julie noch antworten konnte, spürten beide eine plötzliche Erschütterung unter ihren Füßen, wie es sich früher immer in den U-Bahn-Stationen angefühlt hatte. Nur waren sie jetzt oben auf der Erde und die U-Bahn fuhr nicht mehr.
    Es dauerte ungefähr eine halbe Minute. Alex und Julie waren wie angewurzelt stehen geblieben. Die wenigen anderen Leute, die auf dem Broadway unterwegs waren, machten ebenso erschrockene Gesichter wie sie selbst.
    »Ein Erdbeben!«, rief ein Mann.
    »Quatsch«, entgegnete ein anderer. »Wir sind hier in New York, nicht in Kalifornien.«
    »Ich habe früher in Kalifornien gelebt«, sagte der erste. »Ich weiß, wie sich ein Erdbeben anfühlt, und das war eins.« Er überlegte kurz. »So um die vier Komma fünf«, sagte er dann. »Nichts Dramatisches.«
    »Ob das wirklich ein Erdbeben war?«, fragte Julie Alex, als sie weitergingen.
    »Keine Ahnung«, sagte Alex. »Ist das irgendwie wichtig?«
    Dienstag, 2 . August
    »Habt ihr das Erdbeben mitgekriegt?«, fragte Tony Loretto Alex und Kevin beim Mittagessen. »Ich war zu Hause, und meine Sankt-Antonius-Statue ist von der Kommode gefallen.«
    »Ich war gerade auf dem Broadway«, erzählte Alex. »Meine Schwester und ich, wir haben es beide gespürt. Irgendwer hat gesagt, das sei ein Erdbeben, aber ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte.«
    »Das Beben war halb so schlimm«, sagte Kevin. »Der Tsunami hat viel mehr Schaden angerichtet.«
    »Tsunami?«, fragte Alex.
    Kevin schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich wirklich, du lebst hinterm Mond«, sagte er. »Das Beben war im Atlantik, deshalb wurde Lower Manhattan von einem Tsunami überspült. Einem ziemlich großen sogar. Als hätten die normalen Flutwellen noch nicht gereicht, um New York von der Sünde reinzuwaschen.«
    »Meine Mutter arbeitet bei der Stadt«, sagte Tony. »Sie sagt, bis September wird das ganze Gebiet südlich der 34 th Street zwangsevakuiert. Lower Manhattan steht schon komplett unter Wasser, und der Pegel steigt und steigt. Die Kanalisation wird damit nicht fertig. Auf dem Wasser treiben Särge. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal.«
    »Wegen eines einzigen Tsunamis?«, fragte Alex.
    »Und wegen der Gezeiten«, antwortete Tony. »Aber sie rechnen damit, dass es noch mehr Tsunamis geben wird. Nicht weit von hier im Atlantik liegt eine Verwerfungslinie, und jetzt, wo der Mond eine viel größere Anziehungskraft hat, wird es dort wohl noch öfter solche Beben geben und damit auch weitere Tsunamis. Bisher ist die 34 th Street noch trocken, aber das Wasser wandert immer weiter rauf und schiebt Abwasser und Särge vor sich her. Hier wird es langsam auch immer kritischer.«
    »Sogar die Ratten ertrinken«, sagte Alex.
    »Nee«, widersprach Kevin. »Die haben beim YMCA einen Schwimmkurs gemacht.«
    Montag, 8 . August
    »Also, Morales«, sagte Kevin, als sie in der Cafeteria beim Mittagessen – Kartoffeln und Dosenmöhren – saßen. »Wie sehen deine Pläne für morgen aus?«
    Alex zuckte die Achseln. »Das Übliche«, sagte er. »Alte Leute besuchen, Theologie lernen und ums Überleben kämpfen. Jeden Tag der gleiche Trott.«
    Kevin lachte. »Du könntest wohl ein bisschen Abwechslung gebrauchen«, sagte er. »Wie wär’s zum Beispiel mit Leichen-Shopping? Mein neuestes Hobby.«
    Alex war sofort klar, dass das etwas Grässliches und Widerwärtiges sein musste, etwas, das, wenn nicht illegal, so doch jedenfalls unmoralisch war. »Hört sich gut an«, sagte er. »Wann und wo?«
    »Gleich morgen früh«, sagte Kevin. »Punkt sieben bei dir vorm Haus, dann können wir danach noch unsere Alten besuchen und trotzdem pünktlich in der Schule sein. Ich weiß, dass du nicht gern zu spät kommst.«
    »Dank Pater Mulrooney«, erwiderte Alex. »Der lässt den heiligen Augustin wieder lebendig werden.«
    »Was mehr ist, als er für sich selbst tun kann«, meinte Kevin. »Wenn man vom Teufel spricht…«
    Pater Mulrooney kam auf die beiden Jungen zu und bedeutete ihnen, sitzen zu bleiben. »Ich habe gerade einen Blick auf Ihre Unterschriftenliste geworfen, Mr Morales«, sagte er. »Mir fiel auf, dass nur sieben Leute unterschrieben haben.«
    »Ja, Pater«, sagte Alex. »Mir haben auch nur sieben Leute aufgemacht.«
    Pater Mulrooney nickte. »Das war zu erwarten«, sagte er. »Ich wollte mich nur versichern. Mit der Zeit werden immer mehr von den Alten und Gebrechlichen sterben. Manche ziehen natürlich auch mit ihren Familien weg. Haben Sie denn inzwischen

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