Die Verlorenen von New York
ausgeplündert.
Als sie in die 95 th Street einbogen, entdeckte Alex wieder eine Leiche. »Hast du die gesehen?«, fragte er.
»Klar«, antwortete Kevin.
Alex zwang sich, als Erster hinzugehen. Ich tu das alles nur für Julie, dachte er. Gott wird mir vergeben. »Er trägt noch seinen Mantel«, sagte er.
»Der hatte bestimmt einen Herzinfarkt und ist hier einfach tot umgefallen«, sagte Kevin. »Toller Fund, Morales. Sieh mal nach, ob er eine Brieftasche hat.«
Kevin zog dem Mann den Mantel aus und Alex durchsuchte seine Taschen. »Ich hab sie!«, rief Alex.
»Die gehört dir«, sagte Kevin. »Du nimmst die Schuhe und die Uhr, ich nehm den Mantel. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte Alex. »Ist das eine echte Rolex?«
»Sieht so aus«, sagte Kevin. »Und der Mantel ist aus Kaschmir. Tja, früher oder später müssen wir alle sterben. Bei ihm war’s eben früher. Damit sind wir für heute ganz gut versorgt.«
»Und wohin jetzt?«, fragte Alex. Er war froh, dass er die Leichenfledderei erst einmal hinter sich hatte.
»Zu Harvey«, erwiderte Kevin. »Dem Hehler unseres Vertrauens. Du solltest dich lieber gut mit ihm stellen, er hat hier in der Gegend das Monopol.«
Auf dem Schild über dem Laden stand Harveys Maß- und Änderungsschneiderei . Kevin trat ein, mit Alex im Schlepptau. Ein älterer Mann, glatzköpfig und nicht allzu gepflegt, saß hinter dem Ladentisch. Der Boden war mit Kisten und Taschen übersät. Nichts erinnerte hier an eine Schneiderei und Alex bezweifelte, dass er den echten Harvey vor sich hatte.
»Kevin«, sagte der Mann. »Was bringst du mir heute?«
»Lauter gute Sachen«, sagte Kevin. »Nur vom Feinsten. Das ist mein Freund Alex. Seien Sie nett zu ihm, Harvey. Vielleicht kommt er auch mal ohne mich her, und dann möchte ich nicht hören, dass Sie ihn übers Ohr gehauen haben.«
»Deine Freunde sind auch meine Freunde«, sagte Harvey. »Und jetzt zeig mir, was du hast.«
Alex und Kevin holten alles aus ihren Säcken, bis auf die Pistole.
»Schön«, sagte Harvey, während er den Mantel befühlte. »Sehr schön. Getrennte Rechnung?«
Kevin nickte.
»Zwei Flaschen Wodka für deinen Kram«, sagte Harvey. »Abgemacht?«
»Drei wär’n besser«, sagte Kevin.
»Wochenend und Sonnenschein wären noch besser«, sagte Harvey. »Gib mir einen Tag Sonnenschein, und du kriegst die dritte Flasche.«
»Na gut, dann eben zwei«, sagte Kevin. »Dann schauen Sie mal, was Sie für Alex tun können.«
»Können Sie die Brille gebrauchen?«, fragte Alex.
»Keine Ahnung«, antwortete Harvey. »Bisher hat noch keiner nach so was gefragt. Aber ich könnte mir denken, dass sich das bald ändert. Die Brieftasche ist jedenfalls brauchbar.«
»Und eine Rolex«, sagte Alex.
Harvey zuckte die Achseln. »Eine Uhr ist und bleibt eine Uhr«, sagte er. »Erst recht jetzt, wo keine Uhr mehr genau geht.« Er kratzte sich am Kinn. »Pass auf«, meinte er dann. »Weil du neu im Geschäft bist und außerdem ein Freund von Kevin, geb ich dir sechs Dosen Mischgemüse, zwei Dosen Thunfisch und sechs Flaschen Mineralwasser.«
Alex sah, wie Kevin kaum merklich den Kopf schüttelte.
»Also«, sagte Alex, »ich mag ja neu im Geschäft sein, aber ein Idiot bin ich nicht. Wer sagt mir denn, dass Sie das Wasser hier nicht direkt aus dem Hudson abgefüllt haben?«
»Das würde ich einem Freund von meinem Kumpel Kevin doch niemals antun«, protestierte Harvey. »Das kommt direkt aus den Bergen von Pennsylvania.«
»Selbst wenn ich Ihnen glauben würde, wär’s mir immer noch zu wenig«, sagte Alex. »Dafür geb ich Ihnen nur die Brieftasche. Was bieten Sie mir jetzt für die Schuhe und die Uhren?«
»Ich hab mir hier was für besondere Gelegenheiten aufgespart«, sagte Harvey und holte eine Packung Weizenflocken aus einer Kiste hervor. »Du kannst so tun, als wären das Kartoffelchips, nur viel gesünder. Wenn du die über den Thunfisch streust, hast du ein wahrhaft königliches Mahl.«
»Das reicht dem König aber noch nicht«, sagte Alex.
»Also hör mal«, sagte Harvey. »Das ist hier kein Supermarkt. Ich muss auch sehen, wo ich bleibe.«
»Ist gut«, sagte Alex und nahm die Brieftasche wieder an sich. »Dann such ich mir eben einen ehrlichen Geschäftsmann.«
»Immer langsam«, sagte Harvey. »Wo waren wir stehengeblieben?«
»Bei einem wertlosen Sechserpack Mineralwasser«, sagte Alex, »einem halben Dutzend Dosen Mischgemüse, zwei Dosen Thunfisch und einer Packung Weizenflocken. Was haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher