Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
Vom Netzwerk:
konnten. Vielleicht findet die Heilige Jungfrau in ihrer unendlichen Güte auch für Julie einen solchen Ort.«
    Den hatte die Heilige Jungfrau schon längst gefunden, dachte Alex, als er die Kirche verließ. Bei Onkel Jimmy und Tante Lorraine. Was auch immer Julie widerfahren würde, es wäre seine Schuld. Seinetwegen lebte sie hier in der Hölle, und für ihr Leid würde er auf ewig in der Hölle schmoren.
    Donnerstag, 1 . September
    Alex erwachte mit dem Gedanken an die Dreißig-Dollar-Taschenlampe, ohne zu wissen, warum. Sie nicht zu kaufen war eine der wenigen Entscheidungen, die er nie bereut hatte.
    Dann fiel ihm ein, wie der Verkäufer damals gesagt hatte, beim nächsten Kunden würde sie vierzig Dollar kosten, und jetzt wurde ihm der Zusammenhang klar: Je weniger Lebensmittel es gab, desto weniger würde er auch für seine Beute beim Leichen-Shopping bekommen. Heute war ein Paar Schuhe noch zwei Dosen Bohnen und eine Packung Nudeln wert. Nächsten Monat konnte er wahrscheinlich froh sein, wenn er noch die Nudeln dafür bekam.
    Sein erster Impuls war, gleich wieder loszugehen und nach frischen Leichen zu suchen, aber dann begriff er, was die Taschenlampe tatsächlich zu bedeuten hatte. Er besaß die Schlüssel zu vier Wohnungen, die alle randvoll mit Dingen waren, die man entweder gebrauchen oder eintauschen konnte. Vier Schatztruhen, die er bisher ignoriert hatte, weil er es irgendwo im Hinterkopf immer noch für Diebstahl und Sünde hielt, etwas ohne Erlaubnis an sich zu nehmen.
    Er würde sowieso in der Hölle landen. Da war es doch besser, vorher noch mitzunehmen, was er kriegen konnte.
    Er ließ Julie schlafen, während er einen Plan entwickelte. Es musste auf jeden Fall heute geschehen. An den Wochenenden gab es schon lange keinen Strom mehr, bis dahin konnte er also nicht warten. Freitagmorgen war die Lebensmittelverteilung, und Freitagnachmittag schien ihm der beste Zeitpunkt für größere Tauschgeschäfte, denn er hatte den Verdacht, dass ein Großteil von Harveys Vorräten praktischerweise von ebenjenem Laster fiel, der freitagmorgens die Lebensmittelausgabe belieferte.
    Während er sich anzog, überlegte Alex, ob er Kevin bitten sollte, ihm beim Ausräumen der Wohnungen zu helfen, entschied sich dann aber dagegen. Kevin war ein prima Kerl, aber die Versuchung wäre auch für ihn einfach zu groß.
    Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen, als er an diesem Morgen mit seinem Freund nach Leichen suchte. Aber Schuldgefühle waren inzwischen ein fester Bestandteil seines Lebens, genau wie Hunger, Kälte und Trauer. Und falls Kevin bemerkt hatte, dass Alex mit den Gedanken woanders war, so sagte er jedenfalls nichts. Sie fanden eine stattliche Anzahl Schuhe, Uhren und Mäntel, die sie gegen Suppen, Mischgemüse und schwarze Bohnen für Alex und Wodka für Kevin eintauschten.
    Als Alex zurückkam, war Julie schon auf. »Heute fällt die Schule aus«, sagte er und gab ihr die Lebensmittel. »Wir fahren stattdessen rauf und durchsuchen die anderen Wohnungen, und alles, was wir gebrauchen oder eintauschen können, bringen wir hierher.«
    »Und das Mittagessen?«, fragte Julie.
    »Ich weiß nicht«, sagte Alex. »Reichen unsere Vorräte noch bis Dienstag?«
    Julie schaute in Alex’ Tüten und in die Schränke. »Aus dem Reis und den Bohnen mache ich zwei Mahlzeiten für jeden«, sagte sie dann. »Und morgen Abend gibt’s für jeden von uns eine Dosensuppe. Bleiben uns noch eine Dose Mischgemüse, eine Dose Karotten und eine mit Erbsen. Kriegst du morgen keine neuen Lebensmittel?«
    »Doch, ich hoffe schon«, sagte Alex. »Aber wir sollten uns nicht darauf verlassen.«
    »Dann gibt’s heute eben kein Mittagessen«, sagte Julie. Sie verzog das Gesicht. »Früher habe ich mich immer gefreut, wenn die Schule ausgefallen ist. Heute bedeutet das nur noch, dass es kein Mittagessen gibt.«
    In diesem Moment setzte wieder das sinnlose Brummen des Kühlschranks ein, und die Wohnzimmerlampe, die Alex immer eingeschaltet ließ, ging an. »Das sollten wir ausnutzen, dass es gerade mal wieder Strom gibt«, sagte er. »Los, wir holen die Einkaufstrolleys und Mülltüten. Wir können wohl riskieren, mit dem Fahrstuhl raufzufahren, aber wir müssen vorsichtig sein. Sobald der Strom wieder weg ist, gibt es vielleicht vor Dienstag nicht wieder welchen.«
    Julie machte ein nachdenkliches Gesicht. »Vielleicht sollten wir die Sachen lieber in einer der oberen Wohnungen aufbewahren«, sagte sie. »Hier braucht doch nur jemand

Weitere Kostenlose Bücher