Die Verlorenen von New York
jetzt muss Ihr Ziel darin bestehen, am Leben zu bleiben und ihre Schwestern am Leben zu erhalten. Christus weiß, was Leiden bedeutet. Sein Herz ist voller Liebe für Sie. Er bittet Sie nur, dass Sie durch Ihr Leid Sein Leid besser verstehen lernen. Hätte Gott sich eine Welt voller Heiliger gewünscht, hätte er wohl keine Jugendlichen erschaffen. Bitte sehr. War ich zu nachsichtig?«
Alex wischte sich die Tränen weg. »Ich weiß nicht«, sagte er und versuchte zu lächeln. »Was soll ich zur Buße tun?«
»Gehen Sie in die Kapelle und beten Sie um Bescheidenheit«, sagte Pater Mulrooney. »Bitten Sie Gott um die Einsicht, dass Sie mit Ihren siebzehn Jahren noch nicht alles verstehen können. Erweisen Sie Christus Ihre Dankbarkeit dafür, dass Sie und Ihre Schwestern bis heute überlebt haben. Aber es muss Ihnen ernst damit sein. Gott wird es merken, wenn Sie unaufrichtig sind. Ihren Zorn kann Er Ihnen verzeihen, aber Heuchelei ist Ihm zuwider.«
»Ja, Pater«, sagte Alex.
»Und machen Sie Ihren Schwestern eine Freude«, sagte Pater Mulrooney. »Ihre Freude wird Gottes Freude sein und Sein Geschenk an Sie.«
Alex nickte. Er sprach sein Reuegebet und hörte zu, wie Pater Mulrooney ihm die heilige Absolution erteilte.
In der Kapelle waren schon zwei andere Jungen in stillem Gebet versunken. Alex knickste vor dem Kreuz und kniete sich in eine Bank. Vergib mir meinen sündhaften Stolz , betete er. Vergib mir, dass ich jemals geglaubt habe, es allein schaffen zu können, ohne Deine Führung und Liebe.
Dienstag, 20 . September
»Julie, könntest du wohl ins Schlafzimmer gehen und eine neue Liste der Lagerbestände anfertigen?«, fragte Alex nach der Schule. »Decken, Mäntel, Batterien. Eine Liste für Decken, eine für Kleidung und eine für alles Übrige. Und sei sorgfältig.«
»Warum kann Bri das nicht machen, während wir in der Schule sind?«, fragte Julie.
»Weil ich dich darum gebeten habe«, sagte Alex. »Also: bitte.«
Julie verzog das Gesicht, aber sie holte sich ihr Heft und einen Stift und verschwand im Schlafzimmer ihrer Eltern. Alex machte Bri ein Zeichen, zu ihm in die Küche zu kommen.
»Julie hat doch bald Geburtstag«, flüsterte er. »Wollen wir nicht eine Überraschungsparty für sie machen?«
»Geht das denn?«, fragte Bri. »Eine richtige Party? Wirklich?«
Alex grinste. »Das geht und ich meine es«, sagte er. »Aber du musst mir dabei helfen. Ich weiß, dass du dieses Jahr um deine Geburtstagsparty betrogen worden bist, aber ich hoffe, du bist nicht böse, wenn wir für Julie eine organisieren.«
»Ich find’s toll«, sagte Bri. »Mensch, Alex! Eine richtige Party! Mit Jungs?«
»Fände Julie das gut?«, fragte Alex.
Bri verdrehte die Augen.
»Dann kümmer ich mich um die Jungs«, sagte Alex. »Sag du mir einfach, was ich sonst noch machen soll, und ich sehe zu, ob ich das hinkriege.«
Freitag, 30 . September
»Nun komm schon«, sagte Alex zu Julie. »Wir müssen los.«
»Aber heute ist mein Geburtstag«, quengelte Julie. »Da will ich nicht in die Kirche gehen.«
»Julie«, sagte Alex. »Mamá ist an jedem unserer Geburtstage in die Kirche gegangen, um ein besonderes Dankgebet zu sprechen. Außerdem müssen wir eine Kerze für sie anzünden und für Papá und Carlos. Also trödel jetzt nicht rum.«
»Kommt Bri auch mit?«, fragte Julie.
Briana schüttelte den Kopf. »Ich bleib hier und bereite das Geburtstagsessen für dich vor«, erwiderte sie. »Du wirst schließlich nicht jeden Tag dreizehn.«
»In einer Stunde sind wir zurück«, sagte Alex. »Nun komm, Julie. Schal und Handschuhe.«
Julie seufzte. »Das ist das erste Mal, dass ich an meinem Geburtstag Schal und Handschuhe tragen muss.« Aber sie zog sie an und folgte Alex hinaus auf die Straße.
Schweigend legten beide den kurzen Weg zur Kirche zurück, Julie immer noch schmollend und Alex tief in Gedanken. Sie traten ein, zogen die Handschuhe aus, benetzten die Finger mit Weihwasser, bekreuzigten sich, beugten das Knie vor dem Kruzifix und suchten sich eine Bank, um zu beten.
Alex musterte Julie von der Seite. Sie war jetzt dreizehn, immer noch ein Kind, doch in mancher Hinsicht wirkte sie reifer als Briana. Er bezweifelte, dass sie sich ihren kindlichen Glauben hatte bewahren können, so, wie Briana es trotz allem geschafft hatte. Aber Julie war schon immer kämpferischer und aufsässiger gewesen, daran hatten auch die vergangenen Monate nichts geändert. Es war unfair, die Schwestern miteinander zu
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