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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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vergleichen, und noch unfairer war es, zu erwarten, Julie könne inmitten der Gräuel, die sie gerade durchlebten, zu einem sanfteren, ausgeglicheneren Menschen werden. Zumal sie noch nie sanft und ausgeglichen gewesen war.
    Alex grinste. Mit zwei Schwestern wie Julie hätte er nicht zusammenleben wollen, aber dass eine von ihnen sein Elend teilte, war schon ganz in Ordnung. Er tippte ihr sanft auf die Schulter und bedeutet ihr, aufzustehen. Sie gingen zu den Kerzen hinüber – es brannten nur noch so wenige – und zündeten eine an. Alex betete für all jene, die verschwunden waren, und diesmal kamen seine Worte von Herzen.
    Auf dem Heimweg dachte Alex an all die Dinge, die er Julie jetzt eigentlich sagen müsste. Vorträge darüber, dass sie bald eine Frau werden würde, Ermahnungen, sich in der Schule anzustrengen, damit Mamá und Papá stolz auf sie sein konnten. Aber nichts davon wollte ihm über die Lippen kommen, und so blieb er einfach still.
    »Sind das nicht schon wieder mehr Leichen geworden?«, fragte Julie. »Ich meine, im Vergleich zu letzter Woche?«
    »Ich glaube nicht, dass immer mehr Leute sterben«, antwortete Alex, betrübt darüber, dass sich der Tod selbst am Geburtstag seiner Schwester ungebeten einmischte. »Ich glaube eher, die Leichen werden immer seltener eingesammelt.«
    »Das ist nicht gut«, sagte Julie. »Dann gibt es auch immer mehr Ratten. Und ich hasse Ratten.«
    »Denk einfach nicht darüber nach«, sagte Alex. »Heute ist dein Geburtstag. Denk an was Schönes.«
    »Das versuche ich ja«, sagte Julie. »Ehrlich, Alex, das versuche ich ununterbrochen. Aber es fällt mir so schwer.«
    »Ich weiß«, sagte Alex. »Komm, beeil dich. Mal sehen, was für ein Festessen Bri für dich zusammengerührt hat.« Er schloss die Haustür auf, dann die Tür zur ihrer Wohnung.
    » ÜBERRASCHUNG !«
    »Was?«, rief Julie. »Oh, Alex!« Sie fiel ihrem Bruder um den Hals und lief dann zu Bri, um auch sie zu umarmen.
    Alex grinste. Alle waren gekommen: Kevin, James und Tony, dazu Brittany und Lauren, Julies beste Freundinnen, und sogar Pater Mulrooney. Sanftes Kerzenlicht erhellte die gelben Kreppgirlanden über den Türen und das Schild mit HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH , JULIE !, das auf der Decke vor dem Wohnzimmerfenster befestigt war.
    Schon komisch, dachte Alex, während er alle begrüßte und ihnen für ihr Kommen dankte. Er hatte seine Schulkameraden noch nie zu sich eingeladen, weil er sich immer ein bisschen für sein Zuhause geschämt hatte. Er war nicht der einzige Schüler an der Vincent de Paul, der sich die Schule nur mit einem Stipendium leisten konnte, aber die Jungen, die er beeindrucken wollte, die Chris Flynns seiner Schule, stammten alle aus Elternhäusern mit Geld und gehobener Stellung. Geld jedoch war wegen der jüngsten Ereignisse inzwischen nicht mehr viel wert. Und gehobene Stellungen, außer in den allerhöchsten Positionen, gehörten ebenfalls der Vergangenheit an. Jetzt waren sie wirklich alle vor Gott und den Menschen gleich, und seine Wohnung hatte immerhin den Vorteil, dass man keine zehn Stockwerke zu Fuß raufgehen musste.
    Bei Pater Mulrooney bedankte er sich ganz besonders. Wie stolz wäre Mamá gewesen, einen Priester, noch dazu den kommissarischen Leiter der St. Vincent de Paul Academy, als Ehrengast auf der Geburtstagsparty ihrer Tochter zu begrüßen.
    »Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, Alex«, sagte Pater Mulrooney. »Es ist schön, einmal wieder lächelnde junge Gesichter zu sehen.«
    Und Julie hörte gar nicht mehr auf zu lächeln. Alex konnte sich nicht erinnern, wann er sie zuletzt, wenn überhaupt einmal, so glücklich gesehen hatte. Sie war schon mit einem Schmollgesicht geboren worden. Aber heute strahlte sie vor Freude.
    »Ich habe einen CD -Player mitgebracht«, sagte Tony. »Ich dachte, wir könnten vielleicht ein bisschen tanzen.«
    Die Mädchen kicherten, und die Jungen schoben die Möbel zur Seite, so dass eine kleine Tanzfläche entstand. Auf der CD , die Tony einlegte, waren Hits aus dem letzten Frühjahr zu hören, und Alex fühlte sich plötzlich wieder jung. James forderte Julie auf, Kevin tanzte mit Bri, Tony mit Brittany und Alex mit Lauren. Keiner der Jungen konnte besonders gut tanzen, aber die Mädchen schien das nicht zu stören. Alex hatte James und Tony nicht nur deshalb eingeladen, weil er mit ihnen bekannt war, sondern auch, weil sie zu den wenigen gut aussehenden Jungs gehörten, die an seiner Schule noch übrig waren.

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