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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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Sexualität des betreffenden Menschen nichts zu tun hat. Erst wenn aus den Dates auch Freundschaft geworden ist, können die Paare zueinander finden. Doch bei Freundschaften sind dann oft die Geheimnisse schon entdeckt, was wiederum der Erotik nicht unbedingt weiterhilft. Die aus den Medien so bekannten, immer wieder rezitierten Fremdbilder und Verhaltensmuster sind in ihrer manipulativen Kraft nicht zu unterschätzen – davon erzählen mir einige junge Menschen immer wieder.

    Selbst im innigsten Bereich des Zwischenmenschlichen werden wir mittlerweile mit einer unglaublichen Flut von Stellungsratgebern, wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer Ausleuchtung der intimsten Stellen belästigt. Seit ein paar Jahren spielt nämlich nicht mehr nur das ideale Taille-Hüft- Busenverhältnis die Vorreiterrolle in den Medien, sondern uns starrt schon von allen Ecken die ausgeleuchtete Vagina entgegen. Und wieder einmal wird der neue Trend beispielsweise zur Schamlippenoperation ausschließlich unter oberflächlichen Gesichtspunkten wie Schönheit, Körperbild, Nacktheit besprochen, statt den Trend politisch und philosophisch klar im Lichte eines herrschenden Biologismus zu betrachten.

Was Bilder mit uns anstellen, zeigt der neue Trend, nicht nur die Scham zu rasieren, sondern sich auch die Schamlippen beschneiden zu lassen. Der WDR brachte in einer seiner Frauensendungen einen Beitrag zum Thema. Eine 15-Jährige wollte sich unbedingt ihre Schamlippen verkleinern lassen. Die Vorstellung, dass es nur eine einzige ›richtige‹ Form des weiblichen Genitals gebe, hat sich unter den jungen Menschen mittlerweile eingebürgert. Die kosmetischen Eingriffe in den Unterleib der jungen Frauen steigen stetig an. Hier haben die Vermesser mit vollem Erfolg zugeschlagen, und es ist kein Zufall, dass es wieder einmal die Ärzte sind, die willigen Vollstrecker der Normschönheiten, die nun in den Unterleib und bis unter die Haut gehen.

    Die philosophisch-politische Perversion, den weiblichen Unterleib nach einem modellierten Maß zurechtzuschneiden, wird kaum erörtert.

    Klar doch, die Medien werden als die Schuldigen ausgemacht, allen voran die Pornoindustrie. Doch selten wird der Versuch gemacht, genau hinzuschauen, was denn bei dem Wegschneiden der Schamlippen genau passiert. Dieselben Frauen, die sich laut und wichtig gegen die Klitorisbeschneidung von Frauen in unterentwickelten Ländern aussprechen, dieselben Frauen, die davor warnen, den anderen Kulturen zu schnell einen Brauch ausreden zu wollen, der Jahrtausende alt ist, fühlen sich »da unten« minderwertig.
    Die Normierungswut und der Wunsch, als »normal« zu gelten, macht immer wieder aus selbstbewussten Frauen neurotische Wesen, die sich vorwiegend nur noch um die Gestaltung
des eigenen, vermeintlich unvollkommenen Körpers kümmern.

    »Ich würde mich nie mit einem Mann für Sex treffen, wenn ich nicht rasiert wäre.« Diese Aussage bekam ich als Antwort auf eine Blitzumfrage, die ich kürzlich im Frauenseminar unter 35- bis 45-jährigen Frauen machte, wie es bei ihnen denn im Schambereich aussähe. Es waren alles Frauen in einer festen Beziehung und siehe da: alle rasiert oder frisiert. Als ich dies meiner Mutter erzählte, war sie fassungslos. Sie hatte in ihrer Jugend sogar noch Haare unter den Armen und an den Beinen!

    Innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten wurden wir quasi in einer Art Turboevolution ein gehöriges Stück weiter von unseren Vorfahren, den Affen, entfernt. Was gerade noch als normal galt, wurde zum körperlichen No-Go hochstilisiert.
    Im innigsten Bereich des Zwischenmenschlichen werden wir mittlerweile mit einer unglaublichen Flut von Stellungsratgebern belästigt. Die amerikanische Kulturindustrie ist schließlich nicht nur in Hollywood, sondern auch in allen anderen Bereichen führend, so dass wir uns selbst in Europa einer wahrhaft entwürdigenden Mösendebatte nicht mehr entziehen können.

    Entschuldigen Sie bitte den Begriff »Möse«, ich meinte natürlich Vagina, Vulva, Scham, Puntanella, Putzerl, Rotkäppchen, Klitzchen, Knallerbse, Glitzerperle, Genusswurzel etc.

    Die amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin Naomi Wolf, deren »Mythos Schönheit« in jede anständige Bibliothek gehört, erzählt uns die Geschichte der Stelle zwischen den weiblichen Beinen. Sie tut dies in nettem Storytelling, das einen zwar unterhält, doch nach dem Lesen eigentümlich leer zurücklässt. Sie setzt die Vagina mit der Frau allgemein

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