Die Vermessung der Frau
gleich, sie sieht im erfüllten Sex den wichtigsten Sinn des Lebens. Wolfs Auslegeordnung ist ein konservativ-mystisches, mit medizinischen Fakten angereichertes Plädoyer für die »gesunde
Frau«. Ja doch, Frauen müssen begehrt werden, bevor sie sexuell stimulierbar sind. Ja doch, Männer können in vier Minuten kommen, Frauen brauchen dazu 16 Minuten. Ja doch, Frauen mögen romantisches Licht und Prinzengeschnäusle, Männer fühlen sich im Operationslicht genauso wohl. Es sind sträfliche Verallgemeinerungen, die Wolf hier zur Vagina bringt. Sie passen aber perfekt zu einem Publikum, das sich in Frauenzeitschriften auf banalste wissenschaftliche Einbahnstraßen stürzt.
Probleme in Ihrem Sexleben? Konsultieren Sie einen Neurologen!
Wolfs Buch ist ein doppeltes Ärgernis, denn es gibt vor, einerseits die weibliche Selbstständigkeit und die sexuelle Bestimmung fördern zu wollen, andererseits macht es oft genau das Gegenteil. Indem das weibliche Begehren wie auch das männliche auf den Orgasmus, auf die sexuelle Interaktion, auf die biologische Beschaffenheit fixiert wird, geht die Qualität der Lust verloren. Wolf beschreibt sexuelles Verlangen so, als würde es sich dabei um eine neurologische und hormonell gesteuerte Sanitärinstallation handeln. Wolf liebt Bilanzen: Hier das Soll, da das Haben der unterschiedlichen Synapsen, und fertig ist der Sex.
Naomi Wolf vernachlässigt die verschiedenen Formen der Sexualität. Sie übersieht beispielsweise die lesbische Erfindertätigkeit für unbefriedigte Frauen völlig. Dies obwohl beispielsweise der Cunnilingus zur Freude vieler Frauen seinen Weg auch in die heterosexuellen Ehebetten gefunden hat. Zwar versucht Wolf mit einigen ihrer mystischen Herangehensweisen der weiblich verschlungenen Sexualität auf die Spur zu kommen, doch selbstverständlich scheitert sie an der Aufgabe grandios. Wer die weibliche Gier oder deren ständige Missachtung verstehen will, darf nicht nur das gynäkologische Spekulum benutzen. Sie verkennt beispielsweise auch, dass Pornografie, so scheußlich sie streckenweise ist, mittlerweile durchaus ironisiert und zur politischen Befreiung des Objektes
»Frau« einen Beitrag leisten kann. So gibt es die bewusst obszönen Selbstinszenierungen von Frauen, die vor allem feministisch zu verstehen sind. Da die Gesellschaft den Körper der Frauen eh schon zur Verletzung freigegeben hat, weshalb diese Verletzungen nicht als Heilungschancen interpretieren? So betreibt die feministische Agitprop-Gruppe Femen seit 2008 mit enthülltem Busen oder anzüglichen Verkleidungen Body Politics gegen Prostitution und für die Frauenrechte. Auch die Pussy Riots sind so zu verstehen. In vielen Ländern verbreiten sich Slutwalks, in welchen »Schlampen« das Recht auf Bekleidungsfreiheit einfordern. In Frankreich gibt es die auch unter Musliminnen beliebte Bewegung »ni putes, ni soumises«, welche u.a. mit Miniröcken die Burka bekämpfen. Egal wie frau oder mann gekleidet ist oder aussieht, niemand hat das leiseste Recht auf Übergriffe.
All dies sind Beispiele, die für die Lust der Frauen, deren Befreiung und Experimentierfreudigkeit mehr tun als eine Operation der weiblichen Geschlechtsteile, die jeder Frau gemäß Wolf ein »gesundes Sexleben« bescheren könne.
Wer von Lust schreiben will, sollte nicht die Vagina unter dem Mikroskop, sondern das sexuelle Organ zwischen den Ohren zum Zug kommen lassen. Die heutige Lustfeindlichkeit nährt sich nämlich genau aus der amerikanisch inspirierten Fixierung auf Biologie, auf den Körper, auf die Gesundheit, auf den Menschen als gutgeölte Maschine. Dieser Reduktion unterliegt auch Naomi Wolf und vergisst dabei das wundersame und individuelle Zusammenspiel von Natur und Kultur. Wolf tut indessen so, als ob perfekt geschnittene Schamlippen, »objektiv« gut durchblutete Kitzler und ein fein verästeltes Nervensystem schon genügen würden, jeder Frau – notfalls eben auch operativ – ein Lustgeschrei zu bescheren, das alle Nachbarn aus ihren Häusern schreckt.
Dieser Fehlschluss ist Naomi Wolf nicht zu verzeihen. Sie schreibt damit alle Frauen und Männer hinter die Aufklärung
zurück. Denn schließlich sind es nicht die Biologie, der geölte und perfekt funktionierende Körper, welcher die Erregung beim Mann oder die Orgasmusfähigkeit der Frau steuern, sondern die Bilder im Kopf. Deshalb gibt es ja auch kein Viagra für Frauen! Wer Biologie sagt, dem geht es meistens darum, die Vielfalt des weiblichen
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