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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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Begehrens und vor allem die Freiheit aller Menschen zu verneinen. In Naomi Wolfs Buch gibt es also nichts zu lachen, dafür im »Muschiland« von Ulrike Helmer. Sie erzählt beispielsweise von Laura Méritt, die in ihren »Sexklusivitäten-Shops« liebevolle muschelige Magnetmösen für den Kühlschrank, wollene Häckelmuschis, sogenannte »Mösetten« zum Anstecken anbietet. Helmer schafft es, auf 174 Seiten den Bogen zwischen Kulturgeschichte und Sexkunde amüsant zu spannen.

    Aus Helmers Werk stammen auch unzählige kreative Begriffe für den weiblichen Mittelpunkt…wobei »Türklopfer« sicher nicht zu meinen Favoriten zählt! Doch hey: Erlaubt ist, was gefällt! Nicht, was gefallen muss! Helmer argumentiert, dass vor allem Mädchen klare Worte für ihr Geschlecht brauchen. Helmer plädiert deshalb für den mundbetonten Vulva-Begriff als Kategeorie, die mit einer Vielzahl von wunderbaren Worten ergänzt werden sollte.

    Nach Wolfs und Helmers Lektüre ist mir mehr denn je klar, dass Sex und Erotik nicht nur komplexer sind als immer gedacht und beschrieben, sondern dass statt Biologie und Linguistik eher der Philosophie das Wort gesprochen werden sollte. Ich plädiere für ein Begehren nach eigenen Geheimnissen von jeder und für jede Frau (gilt übrigens auch für den Mann). Wie die Intimzone gestaltet, empfunden, gespürt und imaginiert wird, sollte sowohl in der Sexualität der Männer als auch in der der Frauen als ewiger Quell der Individualität offenstehen. Helmers Buch ist erotisch-verspielt, Wolfs Werk ist klinisch steril. Naomi Wolf reduziert – wie die meisten aktuellen Debatten, die uns aus den USA überfallen – jeden menschlichen Zusammenhang auf
Materie. Sie entzaubert damit martialisch-kapitalistisch nicht nur die Freiheit der eigenen Intimität, sondern auch die gesellschaftliche Offenheit.

    Besonders störend wird Naomi Wolf in ihrer Zusammenarbeit mit Medizinerinnen, die im Brustton der Überzeugung jeder Frau eine rein physische Lust verordnen wollen. Naomi Wolf erzählt am eigenen Beispiel, wie entscheidend ihre eigene vaginale Operation war, um wieder Lust am Beischlaf zu empfinden. Dies verführt zu einem Frauenbild des Mangels. Für mich ist klar, dass nicht die Vagina das sprachliche, biologische oder Lust-Problem ganz allgemein darstellt, sondern die Köpfe und die uniformen Bilder von Politik, Wissenschaft und vieler Menschen. Und zu guter Letzt kommt Lust immer auch dann, wenn es lustig ist … oder was sehen Sie, wenn ich Ihnen lachend einen: »Lutschknubbel« vorschlage?

Vor acht Jahren schrieb ich ein leidenschaftliches Plädoyer für Feminismus unter dem Titel: »Wenn der Penis nur noch tröpfeln kann«. Das war meine direkte Antwort auf einen ungeheuer biologistischen und frauenentwürdigenden Artikel in der Weltwoche: »Wenn die Vulva zum Vulkan wird«.
    Damals wie heute ärgere ich mich über die oberflächliche Inszenierung von Weiblichkeit à la Serien wie »Rosamunde Pilcher«, »Sex and the City«, »Girls«, »Glee«, »How I met your mother«, »Girls gone wild« und Werbeplakate à la H&M etc. Seit 2005 verzeifle ich über die exponentiell angestiegenen anthropologischen Studien zu »seitenspringenden Männern« und »nestbauenden Frauen« und Schrott-Bestsellern à la Catherine Hakim »Das erotische Kapital der Frauen«. 2012 erteilte mir der über 40 Millionen weltweit verkaufte Bestseller »Shades of Grey« eine Lektion in punkto masochistischer Veranlagung von Frauen, die offenbar von nichts lieber träumen, als endlich von ihrem Meister nach allen Regeln der Kunst ausgepeitscht zu werden.

    Sie können sich vorstellen, dass angesichts dieser Phänomene eine Wissenschaftlerin ihre Analysen nochmals einer scharfen Prüfung unterziehen muss. Die Causa Rainer Brüderle hinterließ dabei einen besonders schalen Nachgeschmack.
    Nicht etwa, dass ich Brüderles sexistisches Benehmen auch nur im Ansatz irgendwie okay fand, aber das wirklich Üble an Brüderle verorte ich nach wie vor eher in seiner neoliberalen Politik als im Dekolleté einer Stern-Journalistin. Seit Wochen dominiert indessen die Debatte um sexuelle Belästigung in Deutschland und zwar unter Vorzeichen, die für die Frauen nichts Gutes ahnen lassen. Der Spiegelkolumnist Jakob Augstein
spricht vom »Ende des weißen Mannes«, die Journalistin Birgit Kelle »Dann mach doch die Bluse zu«. Einmal gibt ein sogenanntes »Frauenthema« Anlass zur Debatte, einmal mehr wird mit »Aufschrei«, »Skandal« und

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