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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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kenne einige Männer, die nur noch Lesbenpornos schauen, was dann in ihren Beziehungen dazu führt, dass die Frauen mit ihrem Mann eigentlich lesbischen Sex inszenieren. Zudem scheint es nicht so, dass die Orgasmusfähigkeit der Frauen mit den Pornos zugenommen hat, im Gegenteil. Da in den Pornos die Frauen immer Orgasmen vorspielen, offenbar literweise Lustsaftspritzen, müssen sich auch die Frauen im normalen Leben viel mehr anstrengen, dem Mann oder der Frau, mit dem/ der sie im Bett sind, etwas zu bieten. Im Magazin des Schweizer Tages-Anzeigers gab es dazu einen spannenden Selbsterfahrungsbericht eines jungen Mannes, der allein in den letzten 9 Jahren Veränderungen in der Lautstärke von Frauen und Sex festgestellt hat. Allesamt sind sie lauter, wilder und exstatischer geworden. Schön wäre es ja, wenn dies alles der Realität einer wilden Frau entsprechen würde und nicht vielmehr einer eher tragischen Nachstellung all dessen, was junge Frauen meinen, ihren Sexualpartnern bieten zu müssen.

    Aber die tägliche Berieselung beraubt uns unserer eigenen Sinnlichkeit. Auf dem Seziertisch der Sexforscher hat die Erotik wenig Überlebenschancen. Galt es seit 1956 noch als verrucht und spannend, sich als Heranwachsende die Aufklärungsseiten in der BRAVO anzuschauen, so ist von diesem vorsichtigen Herantasten an die Sexualität nicht viel übriggeblieben. Wer heute in die Pubertät kommt, weiß dank Internet eben schon als Zwölfjährige, wie man sich beim Lapdance zu bewegen hat. »An die Stelle der Verführung tritt heute die berechnende Verfügung. Der Zauber weicht der Zahl. Die Transparenz duftet nicht. Sie beraubt auch die Zeit des Duftes. Die transparente Zeit ist ohne Ereignis, ohne Narration, sie ist eine Zeit ohne Geschichte. Auch das Erotische setzt das Geheimnis voraus«, sagt der in Berlin lehrende Professor für Philosophie. (Byung-Chul Han, »Agonie des Eros«, S. 18)

    Anaïs Nin schrieb in ihrem, 1940 entstandenen Roman »Das Delta der Venus« poetisch über den Zusammenhang von Fantasie und Körper. Henry Miller und Anaïs Nin waren seinerzeit ständig in Geldnöten. Deshalb gingen sie mit einem anonymen Sammler einen Deal ein, ihn gegen einen Dollar pro Seite mit erotischen Geschichten zu versorgen. Dem Sammler gefielen die Geschichten. Mit einer Ausnahme: »Lassen Sie die poetischen Stellen und die Beschreibungen weg, außer denen, die sich auf Sexuelles beziehen. Beschränken Sie sich auf Sex.« Anaïs Nin beschreibt, was die Beschränkung auf den Akt in ihr und ihrem Schriftstellerkreis, auch bei Henry Miller, bewirkte: »Wir müssen die Poesie ausschließen und wir werden von den wunderbaren Geschichten verfolgt, die wir nicht erzählen dürfen. Wir haben im Kreise beisammen gesessen und uns den alten Mann vorgestellt, wir haben ausgesprochen, wie sehr wir ihn hassen, weil er uns nicht erlauben will, Sexualität mit Gefühl, mit Sinnlichkeit, mit Leidenschaft und mit dem die Erotik steigernden dichterischen Flug zu verschmelzen.«

    Anaïs Nin wurde von den Medien nicht niedergeschrieben wie alle Frauen heutzutage, die es wagen, laut und öffentlich über Sex als Geheimnis nachzudenken und die Poesie auch zu leben und nicht einfach als bare Münze zu verkaufen. Anais Nin schreibt in ihrem Vorwort zur »Delta der Venus« dem alten, geifernden Mann, der nur Sex statt Poesie will, wütend:

    »Wir hassen Sie! Das Geschlechtliche verliert alle Macht und Magie, wenn es überdeutlich, übertrieben, mechanisch dargestellt, wenn es zur fixen Idee wird. Es wird stumpfsinnig. Mehr als durch irgendeinen Menschen meiner Bekanntschaft haben wir durch Sie erfahren, wie falsch es ist, das Geschlechtliche von der Emotion, dem Hunger, der Lust, der Begierde, von Stimmungen, Launen, persönlichen Bindungen zu trennen, die seine Farbe, seinen Geschmack, seinen Rhythmus, seine Intensität verändern. (...) Die Mitwirkung von Verstand, Phantasie, romantischen Gefühlen verleiht dem Sexuellen seine erstaunliche
Textur, seine subtilen Transformationen, seine aphrodisischen Elemente. Sie schränken Ihren Empfindungsbereich ein. Sie lassen ihn verkümmern, verhungern, verbluten.« (Anaïs Nin, Das Delta der Venus, S. 11)

    Eine meiner Studentinnen hat mir erzählt, dass sie sich nie wirklich auf das erste Date freuen könne, denn die meisten würden nach dem Schema F ablaufen: Er muss sich wie eine Maschine benehmen und sie sich wie eine stöhnende Katze. Beide spielen ein Programm ab, das mit der ganzeigenen

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