Die Vermessung der Frau
Konsum ruhigzustellen.
Wir müssen aber wieder lernen zu spielen, neugierig zu sein und die Welt mit immer neuen Blicken in uns aufzunehmen. Denn im Spiel sind wir völlig zweckfrei.
Wann immer uns das Leben zu ernst mit dem erhobenen Zeigefinger der Verantwortungen und Notwendigkeiten droht, sollten wir laut lachen, unsere Liebsten an die Hand nehmen und über ein Blumenfeld tollen. Und sollte es in der U-Bahn oder am Arbeitsplatz kein Blumenfeld geben, dann träumen Sie sich einfach eines.
Und könnte der Joghurt seine eigene Geschichte erzählen, würde sie vielleicht nicht von Verfallsdaten und Mülleimern handeln,
sondern davon, wie sich irgendwann einmal auf ihm allerlei lustige Bakterien und Schimmelpilze einnisteten, die ein harmonisches Miteinander praktizierten und den Joghurt so ganz und gar nicht als überfällig und wertlos einstuften.
Es gibt eben immer mehr als nur eine einzige gültige Sichtweise auf unser Leben. Auch wenn uns dies als so viel einfacher erscheinen würde.
Und zum Ende meines Buches frage ich Sie: Was nennen Sie denn »Leben«? Sie haben mich in meinem Buch ein wenig kennengelernt, so dass es Sie nicht wundert, wenn ich jetzt die Seherin Kassandra das Schlusswort sprechen lasse. Kurz vor ihrem Tod antwortet sie dem Vermesser Panthoos: »Was ich lebendig nenne, ist: Das Schwierigste nicht zu scheuen, das Bild von sich selbst zu ändern«.
»Das Leben ist wert, gelebt zu werden, sagt die Kunst, die schönste Verführerin; das Leben ist wert, erkannt zu werden, sagt die Wissenschaft.«
Friedrich Nietzsche
Jede Erzählung hat ihre Voraussetzungen. Mit den folgenden Anmerkungen und Thesen verweise ich auf die wissenschaftlichen Überlegungen, die meinem Debattenbuch zugrunde liegen. Sie finden hier die Titel der jeweiligen Kapitel mit den damit verbundenen wissenschaftlichen Grundlagenwerken. Dies ist für all jene gedacht, die zum Thema der Vermessung weiterforschen möchten. Wir befinden uns in einer Zeit der »entfesselten Maschine«, in welcher die Möglichkeiten, die Computersysteme eng an den Menschen anzubinden, in aller Vielfalt diskutiert und weitergedacht werden müssen. Deshalb hier auch die ausführlichen Anmerkungen und wissenschaftlichen Überlegungen. In vielen Kapiteln habe ich die Form des populären »J’accuse« – »ich klage an« am Beispiel der Vermessung der Frau gewählt – etwas, was philosophisch schon längst notwendig gewesen wäre. Ich mache an der Frau fest, was die widersprüchliche Moderne bewegt – die meisten Autoren vergessen immer wieder, wie konstitutiv die eine Hälfte der Menschheit für die Phänomene ist, die meist nur aus der Sicht der anderen Hälfte der Menschheit beschrieben werden. Sie finden sowohl im Text als auch in den Anmerkungen zahlreiche Denkanstöße von mir. Deshalb finden Sie Alltagsbeispiele mit den großen Theorien der Gegenwart auf originelle Art und Weise verbunden. Mein Buch ist nicht einfach Material für eine neue Skandalisierungsspirale um Einzelthemen wie Pornografie, Frauenquoten, Geschlechterparadigma, Biologisierungen und Rassenparadigma, sondern es reiht sich ein in die lange Liste der Überlegungen zur Moderne und deren Rezeption im politischen Denken.
VORWORT
1) »Verfallsdatum«: Die Mindesthaltbarkeit von Produkten fällt mit der Einführung industriell hergestellter Lebensmittel zusammen. Im deutschsprachigen Raum hat sich das Verfallsdatum relativ schnell auch im Zusammenhang mit dem Alter von Frauen etabliert. In der Schweiz war es lange üblich, die Gebärmutterentfernung von Frauen mit »40er Service« zu bezeichnen – TÜV für 40.000 km. Wie Sprache unser Denken strukturiert siehe Deutscher 2005 und Pusch 1984.
2) »Evolutionsbiologe Dawkins«: Richard Dawkins publizierte 1976 »Das egoistische Gen«, in welchem er den Körper als reines Überlebensinstrument und die Gene als einzigen Motoren menschlicher Entwicklung proklamiert. Der Evolutionsbiologe zählt weltweit zu den führenden und streitbarsten Intellektuellen. Richard Dawkins bezeichnet sich selber als militanten Atheisten. Die Menschen sind für die Gene da und nicht wir für die Gene. »Wir sind Maschinen, deren sich die Gene bedienen, um mehr von ihresgleichen herzustellen und in die nächste Generation zu kommen. Nun schwärmen sie in großen Kolonien aus, sicher aufbewahrt in riesigen, schwerfälligen Robotern, abgetrennt von der äußeren Welt, mit der sie über verschlungene indirekte Wege kommunizieren und die sie durch
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