Die Vermessung der Frau
einem Punkt lag ich 2005 völlig falsch. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass die, seit den 1990er Jahren exponentiell technisch, wissenschaftlich und kommunikativ gewachsene Fixierung der Menschen auf deren Bio-Warencharakter vor allem den Frauen schaden würde.
Das Gegenteil ist der Fall.
Sehen Sie selbst: Das vielbeachtete Buch von Hanna Rosin verkündet mit dem Brustton der Überzeugung: »Das Ende der Männer und der Aufstieg der Frauen«. Die Lektüre dieses Sach- und Machwerks könnte als Hexenhammer des 21. Jahrhunderts eingehen.
»Wir leben in einer Welt, in der Gewandtheit und Flexibilität ebenso belohnt werden wie die Bereitschaft, sich einer im Wandel begriffenen Wirtschaft anzupassen und auf gesellschaftliche Stimuli zu reagieren. Derzeit zeigt die Frau aus Plastik mehr von diesen Eigenschaften als der Mann aus Pappe.«
Rosin, Mutter zweier Söhne (dem älteren widmet sie ihr Buch mit: Für Jakob – entschuldige den Titel ...) beschreibt den Aufstieg der Frauen am Beispiel ihrer einzigen und perfekten-Tochter Lisa im Vergleich zu ihrem Versager-Bruder Jakob: »Am Abend, bevor sie zu Bett geht, macht sie sich eine Liste, was sie am nächsten Tag oder im Lauf der Woche tun muss, und sie
erinnert mich per E-Mail daran, was ich ihr für ihre Projekte kaufen muss. Ihre Aufgabenliste für die Woche ist manchmal länger als meine: Klavier üben, Blockflöte putzen, Aufsatz in Spanisch schreiben, Kuchen für den Backwarenverkauf glasieren usw. Mir ist klar, dass ich sie wie das Klischee vom guten Mädchen aussehen lasse, aber diese Betrachtungsweise ist nicht fair. Warum sollte meine Tochter für ihre Sorgfalt und ihr Verantwortungsbewusstsein nicht Anerkennung erfahren? Mein Sohn dagegen ist von der immer komplizierter werdenden Schule zunehmend überfordert. Manchmal denkt er an seine Aufgaben, und manchmal vergisst er sie. Das heißt, ich kann sie nie von meiner Liste streichen und mich darauf verlassen, dass er an sie denkt. (...) Ich schreibe Checklisten, die er jeden Morgen anschauen kann, oder hänge einen Kalender auf, auf dem er Abgabefristen notieren soll, kurz, ich tue alles, damit er einmal nicht der junge Mann wird, bei dem die Frau in der Zulassungsstelle sagt: »Was für einen tollen Essay seine Mama geschrieben hat.« (Hanna Rosin, S. 219-220)
Autsch! Alles, was Rosin über ihre Familie erzählt, ist nicht nur deswegen so traurig, weil man Mitleid mit Rosins Kindern kriegt, sondern weil Hanna Rosin nicht nur ihre Tochter, sondern alle Mädchen und Frauen zu widerlichen, kleinen Streberinnen erziehen will und die Jungs zu Mädchen, und zwar in brave, umfunktionieren will. Rosin verkennt völlig, dass es für Frauen im falschen System (Pornografisierung des Alltags, Kinder als Karrierehindernis, Pinkifizierung der Kindheit, Warenwerdung aller menschlicher Zusammenhänge) kein richtiges Frauenleben – je länger desto weniger auch ein richtiges Menschenleben – geben kann. Das Mitleid mit Rosins Kindern wandelt sich um in nackte Wut, wenn Rosin ihre vollautomatisierte Frauenpuppen-Version als Erfolgsrezept der Zukunft propagiert. Weibliches sexuelles Begehren und Erotik? Pustekuchen – wer nach oben will, passt sich den Konsumpornos der Männer uneingeschränkt an oder tröstet sich mit einem Plastikdildo für die Plastikfrau. Die neuen Frauen sind gemäß Rosin vor allem
deshalb erfolgreich, weil sie keine Werte, keine Prinzipien oder kein Irgendetwas wichtig finden, was wir urteilskräftige Menschen noch mit Menschsein verbinden.
Der kluge FAZ-Redakteur Claudius Seidl meinte zu Rosins Machwerk: »Während die Frauen die Gebrauchsanweisungen der Gesellschaft auswendig lernen, ignorieren die Jungs sie, was, wie wir gelernt haben, immer die Voraussetzung für das Neue ist. Und genau davon, vom Erfinden, Entdecken, Erschaffen, spricht Hanna Rosin aber nie.«
Rosin beschreibt den massenhaften Aufstieg der Frankensteinfrauen mit einer amerikanisch-naiven Leichtigkeit, die einen erschaudern lässt. Rosin würde wahrscheinlich sogar Kindesmissbrauch und Vergewaltigung als Aufstieg der Frauen interpretieren, wenn sich empirisch belegen ließe, dass Kindesmissbrauch und Vergewaltigung als Karrierequalifikationen postindustrieller Gesellschaften unabdingbar wären. Rosin empfiehlt ihren Leserinnen ein »Herz aus Stahl«: »Frauen erzählten mir, wie sie bei der Arbeit von FKBs (Finanz-Kotzbrocken) angebaggert wurden, die nicht einmal ihren Ehering abgenommen hatten, und sie berichteten,
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