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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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Versuchspersonen, vier Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, vom gelangweilten Teenie bis zur noch gelangweilteren Hausfrau, Dip-Dye-Haarschopf bis Dauerwelle. Also Frauen gucken, ohne Bezahlung und elektronische Überwachung. Simone stellte sich etwas abseits, wie sie es immer tat. Die da. Ungefähr ihr Alter, vielleicht etwas jünger, das Shirt hat sie mit Bedacht ein wenig hochrutschen lassen, schönes Nabelpiercing. Sie knatschte Kaugummi, ihre Zähne mahlten dabei hörbar, das törnte total ab. Keine Schlampen im Bett, bitte. Dann lieber Franzi, gut erzogen, Lehrerkind, mit einer sexuellen Bandbreite von der siebzehnjährigen Schülerin bis zum siebenundfünfzigjährigen Schriftsteller, letzterer Teil ihrer privaten Versuchsreihe »Wie es ist, wenn man gerontophil wäre und beim Sex das Licht ausmachen müsste«. Das war Franzi. Nichts auf Dauer, reine Triebbefriedigung. Simone gähnte noch einmal herzhaft, dann beschloss sie, wach zu sein. Wenigstens für die kommende Stunde.

    *

    Mein Gott, dachte Madeleine Vulpius, als Lars mit Silvio Bergengruen das Labor betrat. Sie legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten, gewiss nicht, aber warum gab es kein Gesetz, dass es gewissen Menschen verbot, ohne eine Plastiktüte über dem Kopf in die Öffentlichkeit zu gehen? Bergengruen war nicht einmal unbedingt hässlich, doch sein Gesicht das materialisierte Vulgäre, ein Antlitz gewordenes zuckendes Geschlechtsorgan gewissermaßen. Sie zog die Mundwinkel um zehn Grad nach oben, höchster Ausdruck von Belustigung.
    Wie abgesprochen paradierte Bergengruen zunächst vor den Damen, die an einem Tisch saßen, Kaffeetassen vor sich. Er begann unsicher, linkisch, betrachtete die Damen mehr als diese ihn, zwei hatten sich gar abgewandt. Nach einigen Minuten wurde Bergengruen selbstsicherer, lächelte und tat das, was er unter Flirten verstand. Er machte Petzaugen, grinste anzüglich und stellte sich breitbeinig vor seine Beschauerinnen, die ihrerseits innerlich verfluchten, auf die dreißig Euro Honorar angewiesen zu sein. Auf diese Ergebnisse war Madeleine Vulpius gespannt.
    »Vielen Dank, Herr Bergengruen, vielen Dank, meine Damen.« Es war vorbei. Dora hantierte am Laptop, Lars befreite die Damen von den Elektroden, heute besonders aufmerksam, denn er hatte ein schlechtes Gewissen wegen Bergengruen. Die Professorin verließ das Labor.

    *

    Das war jetzt wirklich interessant. Endorphine gleich Null, dafür vermehrter Ausstoß von Noradrenalin, Zustand also disstressorisch. Kein signifikanter Nachweis von Serotonin, um den Abbau der negativen Hormone zu beschleunigen. Arme Frauen, dachte Dora – und stutzte.
    Es gab eine Ausnahme, eine der Probandinnen, diese Psychologiestudentin, hatte reagiert, als sei Lars im Adamskostüm vor ihr auf und ab gegangen. Ein wahrer Endorphinrausch. Dora lächelte. Mein Gott, die Geschmäcker konnten so verschieden sein. Sie öffnete die Datei mit den Ergebnissen des Eyetrackings.
    Vier der Testpersonen hatten, als sie Bergengruen betrachteten, einen möglichst neutralen Punkt angesteuert, nachdem sie wie üblich Gesicht, Schultern, Bauch und Leistengegend inspiziert hatten: die Schuhspitzen des Mannes. Verständlich. Auf die Ergebnisse dieser Simone war sie gespannt. Sie klickte auf die Datei – und fühlte, wie ihr das Blut unter die Gesichtshaut schoss, wie ihr plötzlich heiß und kalt wurde.
    Simone Boenisch hatte Bergengruen nur eines sehr flüchtigen Blickes gewürdigt und dann im weiteren Verlauf an ihm vorbeigeschaut, hin zu dem kleinen Tisch, an dem Dora gesessen und den Rechner bedient hatte. Zuerst das Gesicht, dann die Brustgegend, dann direkt in Doras Augen. War ihr gar nicht aufgefallen. Mein Gott.
    Es fiel ihr nicht schwer, Simone Boenischs Ergebnisse denen ihrer Mitprobandinnen anzupassen. Das kostete sie nichts weiter als ein paar Mausklicks. Ergebnisverfälschung, hatte sie noch nie getan, ein Kündigungsgrund, sie konnte ihre Doktorarbeit vergessen, wenn das herauskäme. Sie verwischte sorgfältig alle Spuren, speicherte das manipulierte Resultat und fuhr den Rechner runter. Auf ihrer Stirn brannte und juckte ein Schweißfilm.

    *

    Silvio Bergengruen irrte durch die langen Flure des Instituts. Wo bekam er seine Kohle? Man hatte ihn einfach stehenlassen, zuerst war diese Professorin verschwunden, dann dieser Lars und seine knusprige Kollegin. Und die anderen fünf Weiber hatten ihn keines Blickes mehr gewürdigt, wahrscheinlich schämten sie sich, weil sie ihn

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