Die Vermessung der Lust (German Edition)
Morgen schlecht. Der Typ, den sie gerade furchtbar attraktiv fand, saß kaum mehr als eine Armlänge von ihr entfernt und doch schien es, als lebe er in einem anderen Sonnensystem. Die Attraktivität eines männlichen Wesens hing davon ab, wie sehr ein weibliches gerade ein solches brauchte. Das hatten sie in ihrer bisherigen Forschung noch nicht berücksichtigt. Dora machte sich eine Notiz und nahm sich vor, den Punkt bei der Vulpius demnächst zur Sprache zu bringen.
Es klopfte. Na und? Sie hatte keine Lust, »herein« zu sagen. Es klopfte noch mal. Herrgott nochmal! »Herein!«
Als das Männlein eintrat, musste sich Dora das Lachen verkneifen.
Verwirrung der Gefühle
Simone gähnte. Ein langer Arbeitstag lag hinter ihr, die vier Stunden unruhigen Schlafs danach hatten ihre Erschöpfung eher noch verschlimmert. Am Morgen Prospekte in Briefkastenschlitze stecken, danach zur Uni und in die Biblio, ein hastiges Essen in der Kantine (ausgerechnet Spinat mit Kartoffeln und Ei!), anschließend Probepackungen mit Badezusatz »Südseemischung« in der Fußgängerzone verteilen, immer lächeln, immer freundlich sein, jede ordinäre Bemerkung ignorieren (»Aber nur, wenn Sie mit mir in die Badewanne steigen, Fräulein!«). Wieder zur Uni, natürlich im rappelvollen, stinkenden Bus, nur um einer monotonen Vorlesung über Archetypen nach C.G. Jung und ihren Einfluss auf den postskinnerschen Behaviorismus zu lauschen.
Schiffler. Wie blöd war sie eigentlich gewesen? Sie hätte doch wissen müssen, dass dieser Lustgreis nur darauf aus war, sie als neue juvenile Trophäe in sein Bett zu quatschen. Sein halbwegs munteres Geschlecht an ihrem Po, das war so eklig gewesen. Gott sei Dank hatte sie die Ratte entwischen lassen und damit Schifflers Libido zum Absturz gebracht. Als Krönung dann noch der Putzjob am Abend, endlose Böden bis tief in die Nacht feucht aufwischen, Papierkörbe leeren, sich das Gejammer des Vorarbeiters anhören, Studentinnen seien faule Schnecken. Lange würde sie das nicht mehr durchhalten. Wer nicht mit wohlhabenden Eltern gesegnet war, musste entweder selbst reich heiraten, auf den Strich gehen (oder sich wenigstens einen solventen älteren Lover anlachen), am besten im Lotto gewinnen. Sie nahm sich vor, gleich heute Mittag einen Tippschein auszufüllen.
Jetzt stand sie im wackelnden Bus und gähnte an einem Stück. Neben ihr ein älterer Mann, dessen Gesicht Ausdruck seiner schmierigen Gedanken war. Sie versuchte von ihm abzurücken, aber er rückte schief lächelnd nach.
Die Sache mit dem Experiment bei der Vulpius hatte ihr Franzi gesteckt. »Die sucht immer mal wieder neue Testpersonen. Ganz easy, du musst nur Männer angucken. Dreißig Flocken und Mensagutschein.« Männer angucken, aha. Mal was anderes. Normalerweise guckten Männer sie an, auch ohne dreißig Euro. Männer waren wie Regelschmerzen, nur viel schlimmer. Beides war irgendwie für die Fortpflanzung wichtig, aber Männer kamen unerwarteter, unregelmäßiger und meistens brauchte man länger als drei, vier Tage, um sie wieder loszuwerden.
Erst einmal ins Mensacafé, ein kleines Frühstück kaufen, wach werden. Den Typen in der Schlange vor sich kannte sie, das war Lars, Doktorand bei der Vulpius. Wenn Schiffler erfährt, dass ich für die arbeite... musste er ja nicht. Ging ihn sowieso nichts an.
Hübscher Kerl, dachte sie, wenn man drauf steht. Leider war er nicht schwul. Sie mochte Schwule, die ließen sie wenigstens in Ruhe und sprachen über Klamotten, nicht über die traumhafte Ausdauer ihrer ellenlangen Penisse. Mit diesem Lars hatte sie vorige Woche wegen dem Job telefoniert, angenehme Stimme, sie hatte den Job sofort gekriegt.
Als sie, das letzte Stück ihres trockenen Croissants hinunterschluckend, das Institut betrat, wurde ihr mulmig. Männer gucken, hatte Franzi gesagt, kaum verständlich, denn sie lutschte dabei abwechselnd an Simones Nippeln. Männer gucken, soso. Das Gesicht voller Elektroden und dieses plumpe Gestell des Eyetrackers auf der Nase. Jede ihrer Reaktionen würde drahtlos auf den Rechner übertragen werden, zu einem statistischen Wert verarbeitet. Und das Resultat? Bei Simone Boenisch tat sich nichts. Sie betrachtete Männer wie Möbelstücke oder die Auslagen in Läden für Angelbedarf. Simone Boenisch machte sich also nichts aus Männern, das haben wir jetzt schriftlich. Einzige festzustellende Reaktion: bekommt schnell einen roten Kopf.
Vor dem Labor der Vulpius warteten schon die anderen
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