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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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dessen Geräusch ihn wie jeden Morgen nervte. Und jetzt? Dora schien in tiefe Gedanken versunken, die gewiss nicht ihren Fingernägeln galten. Lars räusperte sich und sofort war es ihm peinlich.
    »Ist was?«, fragte Dora, immer noch ohne aufzuschauen. »Nein, nein«, antwortete Lars schnell und fügte hinzu: »Herr Bergengruen kommt in einer Stunde.«
    »Weiß ich«, antwortete Dora und widmete dem Nagel des Zeigefingers ihrer Rechten besondere Aufmerksamkeit. »Ja«, sagte Lars. So etwas nannte man eine verbale Interaktion, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.
    Schritte. Das war sie. In ihren bequemen braunen Slippern mit den leisen Gummisohlen. Er hielt die Luft an. Warum eigentlich? Sexuell verspürte er keinerlei Bedürfnis, sein letzter Sex lag gerade einmal vier Tage zurück, eine gewisse Sonja-Elaine, ganz zufriedenstellend und vor allem ohne weitere Verpflichtungen. Lars wusste, dass Menschen im Extremfall bis zu sieben Tage ohne Wasser auskommen konnten, bei Sex waren es bestimmt mehr, vielleicht zehn oder zwölf.
    »Guten Morgen.« Jetzt war ihre Stimme wieder die übliche. Wenn er nur wüsste, mit wem sie telefoniert hatte. Dora sah sofort auf und säuselte ein »Guten Morgen« zurück, Lars schloss sich an, seine Stimme zitterte leicht. Oder täuschte er sich?
    »Herr Bergengruen kommt in einer Stunde«, sagte er. Dora – das nahm er am Rande wahr – verdrehte die Augen zur Decke. Schlecht gelaunt? Schlechten Sex gehabt? Keinen Sex gehabt? Er nahm sich vor, sie für den Rest des Tages zu ignorieren.
    »Schön«, sagte Madeleine Vulpius. Sie trug ein himmelblaues Kostüm, mehr businesslike als sexy, die Knie vom Stoff umspielt. Die Schuhe passten überhaupt nicht dazu. »Ich denke, Sie haben beide noch mit der statistischen Auswertung zu tun und ich würde sagen, wir treffen uns dann gegen zehn im Labor. Bringen Sie Herrn Bergengruen mit.«

    *

    Silvio Bergengruen war in dieser Stadt geboren, aber noch nie auf dem Campus der Universität gewesen. Manchmal spazierte er durch die Wälder der Umgebung, seit seiner Arbeitslosigkeit eigentlich jeden Tag. Der Campus indes war bisher für ihn tabu gewesen, hier hauste eine andere Sorte Mensch, Intellektuelle und bebrillte Feministinnen, zukünftige Chefs und Kampflesben, die Springmesser mit sich führten, um jeden unbotmäßigen Pimmel abzuschneiden. Nun ja, vielleicht nicht ganz so schlimm, aber er wollte es nicht darauf ankommen lassen.
    Jetzt also stand er zum ersten Mal in einem der blauen Busse, die den Campus ansteuerten. Deprimiert hatte er festgestellt, dass er der mit Abstand Älteste hier war und niemand ihm einen Sitzplatz anbot. Gar nicht so tragisch. Er stand direkt neben einer unausgeschlafenen, das heißt permanent gähnenden kleinen Brünetten, deren Brüste leider unter dem weiten Shirt mehr zu erahnen denn zu sehen waren, er roch ihr Parfüm und manchmal traf ihn ein Schwall Atemluft aus ihrem Mund. Sie roch nach Tomatensuppe.
    Oh ja, er war aufgeregt und das lag nicht an der ungewohnten Nähe eines nur durch wenig Stoff (wahrscheinlich 100 % Biobaumwolle, man las ja so einiges über diese Studentinnen) von ihm getrennten weiblichen Körpers. Er hatte keine Ahnung, was ihn in diesem sogenannten Institut erwartete. Dreißig Euro Spesengeld plus ein Essensbon für die Mensa, das immerhin. Konnte man mitnehmen, zumal bei so wenig Stütze vom Amt. Aber sonst?
    Er fand das Institut sofort, es befand sich nur wenige Meter von der Bushaltestelle entfernt auf einem kleinen Hügel. Institut für angewandte Psychologie, hm. Durch die Tür, es gab sogar eine Rezeption wie in einem Hotel, hinter dem Tresen hockte ein apartes Mädchen, wahrscheinlich Studentin, und erklärte ihm lächelnd den Weg. War gar nicht so schlimm gewesen, wahrscheinlich hielt sie ihn für einen Professor, welche Männer seines Alters verkehrten denn sonst in diesem Institut.
    Ein langer Flur tat sich vor ihm auf, er las die Schilder an den Türen, bis er die richtige fand. Anklopfen. Niemand sagte »herein«. Er klopfte noch einmal. Jetzt sagte jemand »herein«, eine Frauenstimme, nicht die von diesem Lars. Er öffnete die Tür und trat ein.

    *

    Dieses Arschloch, dachte Dora und betrachtete wieder ihre Fingernägel. Frauen taten das oft, wenn sie in den nächsten Tagen einen Mann brauchten, seltsam, aber empirisch belegt. Hatte »Ich geh mal Frühstück kaufen« gesagt und nicht gefragt, ob er ihr etwas mitbringen könne. Nun ja, sie behandelte ihn an diesem

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