Die Vermessung der Lust (German Edition)
praktisch als Sexobjekt betrachtet und ihre geheimen Lüste an seinem Anblick ausgelebt hatten. Fühlte sich gut an. Aber wenigstens eine diskret zugesteckte Telefonnummer, das hätte man schon erwarten können.
Er hatte sich total verlaufen. Da vorne stand eine Bürotür offen, er musste nach dem Weg fragen. Es erwies sich als unnötig, denn im Zimmer saß, den Kopf über einem Wust Papier, die Professorin höchstselbst, Madeleine Vulpius, wie Bergengruen vom Türschild ablas. Madeleine... das erinnerte ihn an Paris, wo er zwar nie gewesen war, das er sich aber in besonderem Maße sündig und fast ausschließlich von Prostituierten, Chansonsängern und Malern bevölkert vorstellte. Vulpius... das klang sehr ordinär, fand Bergengruen. Ordinär und vielversprechend.
Die Frau hatte ihn anscheinend nicht bemerkt, sie starrte noch immer wie gebannt in ihre Papiere. Na ja, im Eroscenter hätte sie keinen guten Schnitt gemacht, da kannte sich Bergengruen aus. Aber sonst... nicht schlecht. Gute Figur und, was viel wichtiger war, eine leibhaftige Professorin. Er klopfte vorsichtig an den Türrahmen. Frau Professor hob den Kopf und legte ihre Stirn in Falten.
*
Oh mein Gott, da war er wieder. Bergengruen. Welche Laune der Natur musste man dafür verantwortlich machen, das sie einen solch hübschen Namen an diese triebhafte Kreatur vergeben hatte? Sie wollte seine Stimme nicht hören, wahrscheinlich war sie wie der ganze Rest des Mannes: schmierig, schleimig, anzüglich. Aber er hatte ihr einen Dienst erwiesen, sie musste freundlich bleiben.
»Ja, bitte?« Bergengruen trat in den Raum und sah sich verlegen um. »Entschuldigung, ich meine... das Geld... also mein... die dreißig Euro. Und dieser Gutschein. Wo krieg ich das?«
Madeleine Vulpius war angenehm überrascht. Die Stimme klang beinahe sensibel, verletzlich, ein wenig zu hoch, doch damit hatte sie selbst zu kämpfen. Nur wenn sie wie heute Morgen mit ihrem Mann telefonierte (er hatte wissen wollen, ob Sie lieber Fisch oder Schweinelende zum Abendessen wolle), wurde ihre Stimme weicher, dunkler.
»Oh...«, sagte sie. Dafür war Dora zuständig, sie zahlte die Beträge aus oder überwies sie aufs Konto. Was hinderte sie daran, Bergengruen darüber zu informieren? Gehen Sie drei Türen weiter, dort wird man Ihnen weiterhelfen. Ein höchst einfacher Satz. Doch sie schwieg. Ein paar Sekunden zu lange.
Bergengruen war nähergetreten, hatte die Kaffeekanne und die Tasse auf Madeleines Schreibtisch entdeckt und mit einem mehr als sehnsüchtigen Blick bedacht. »Möchten Sie...« Später würde die Professorin nicht mehr sagen können, wie der Satz hätte weitergehen sollen. »... das Geld bar oder aufs Konto?« oder »... noch einmal an einer Versuchsreihe teilnehmen?« Irgend so etwas halt. Doch Bergengruen hatte, noch bevor der Satz zu Ende formuliert werden konnte, zugleich erfreut genickt, sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch gesetzt und »oh ja, eine Tasse Kaffee wäre jetzt genau das Richtige« gesagt.
Nun gut, es war eben passiert. Ein Missverständnis. Die Mundwinkel wurden um zwei, höchstens um drei Grad hochgezogen. Madeleine stellte Bergengruen eine unbenutzte Tasse hin und schenkte Kaffee ein. Sie trank ihren schwarz, Milch und Zucker hätte sie aus der Gemeinschaftsküche holen müssen.
»Nein danke, schwarz ist schon in Ordnung. Ich bin sowieso für das Unverfälschte.«
Einen solchen Gedanken hätte sie ihm nicht zugetraut. Sie schätzte ihn auf Hauptschule, höchstens Mittlere Reife. Als er die Tasse hob, spreizte er den kleinen Finger ab, als trinke er Tee mit alten Damen und wäre selbst eine. Hochziehen der Mundwinkel um fünf Grad.
»Machen Sie das schon lange?«, fragte er dann. »Und warum eigentlich? Ich meine... welchen Sinn verfolgt das alles?«
Das hatte man sie noch nie gefragt. In akademischen Kreisen ging es nicht um den Sinn von etwas, sondern nur darum, dass man genügend Sponsoren fand, die einem dieses Etwas finanzierten. Sie zögerte mit der Antwort, um ehrlich zu sein: Sie wusste keine und Bergengruen erwartete auch keine. Er sah sie jetzt unverblümt an, vom Scheitel bis knapp über dem Nabel, wo ihr Körper hinter dem Schreibtisch verschwand. Es war, was sie am meisten überraschte, kein ordinärer Blick, sondern der eines Museumsbesuchers, der vor einem Rembrandt steht. Sofort rieselten kleine Eisbröckchen über ihren Rücken. Für Silvio Bergengruen war sie gerade ein Kunstwerk, etwas sehr Wertvolles.
»Würden Sie
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