Die Vermessung der Lust (German Edition)
Er brauchte unbedingt ein Deo, denn vor dem Sex schwitzte er immer unter den Armen und beim Sex sowieso. Auf dem Weg zur Bushaltestelle lag ein Drogeriemarkt, dort war zu dieser später Stunde nicht viel los. Er würde ein Deo nehmen und sich unbemerkt damit in den Achselhöhlen frisch machen. Die dreißig Euro, die er am Morgen verdient hatte, waren auf fünfzehn geschmolzen, die brauchte er für das Abendessen. Selbstverständlich musste der Mann die Rechnung bezahlen. Er hatte danach ja auch das Vergnügen.
*
Sie fühlte sich schmutzig. Noch nie hatte sie Konrad belogen, er hatte es sofort gemerkt, das wusste Madeleine. Ihre Stimme... Als sie den Hörer auflegte, musste sie auf die Toilette, um sich im Spiegel zu betrachten. Sie war sicher, dort eine fremde Frau anzustarren. Irgendso ein gelangweiltes Weib, das es aufregend fand, mit einem potthässlichen Proleten ins Bett zu steigen und das es in spätestens drei Monaten noch aufregender finden würde, nach Dienstschluss als Teilzeitprostituierte am Stadtpark zu stehen. Sie hatte diesen französischen Spielfilm gesehen, »Belle de Jour«, genauso würde sie enden.
Hm, die Frau im Spiegel ähnelte ihr. Etwas verwirrt war sie wohl, ein Auge zuckte nervös. Sie zog schnell die Lidschatten nach.
Aber eigentlich war dies eine interessante und wichtige Erfahrung. Silvio Bergengruens Stimme hatte den Ausschlag gegeben und irgendetwas in ihr völlig durcheinandergebracht. Die Stimme. Bisher kaprizierten sie sich auf das rein Optische, ein Feld, auf dem ein Bergengruen naturgemäß sämtliche Arschkarten dieses Planeten gezogen hatte. Dabei war auch diese Stimme nichts Besonderes; weder erotisch noch sonst sinnlich, nicht von Intelligenz oder wenigstens einer gewissen Cleverness zeugend. Sie war – überraschend. Sie passte nicht zu dem, was man sah.
Madeleine Vulpius beruhigte sich ein wenig. Man konnte alles als einen Selbstversuch sehen. So wie ein Forscher, um die Wirksamkeit von unbekannten Drogen zu testen, diese selbst einnahm, auch auf die Gefahr hin, daran zu sterben. Sie musste sich diesen Gedanken sofort notieren und alles wissenschaftlich angehen.
Zurück. Die Tür ihrer Doktoranden war geschlossen. Einen Moment lang überlegte sie, Doras Wunsch, auch die Attraktivität in gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu erforschen, zu entsprechen. Stöhnte da nicht jemand hinter der Tür? Nein, sie musste sich verhört haben. Beschwingt ging sie weiter, zurück in ihr Büro. Konrad. Der tat ihr wirklich leid. Aber Konrad würde das verstehen, er hatte ihre Arbeit immer verstanden.
*
Punkt sechs Uhr begann Konrad mit dem Kochen. Er putzte den Rosenkohl und den Salat, säuberte das Fleisch, schälte Kartoffeln, suchte geeignete Pfannen und Töpfe. Er kochte gerne, lieber als er aß. Bei Madeleine war es genau umgekehrt, auch etwas, wo sie sich perfekt ergänzten.
Hoffentlich bekam sie heute Abend etwas Vernünftiges zu essen. Normalerweise begannen solche Dates doch in Restaurants? Er erinnerte sich an ihr erstes Treffen in diesem Lokal... er versuchte sich genauer zu erinnern, es hatte Wild gegeben, sie waren einen Feldweg entlanggelaufen, dann war es irgendwie passiert, der erste Kuss und danach zu ihm. Er konnte immer noch nicht glauben, dass sie sich ihm hingegeben hatte. Schlimmer: Er konnte nicht glauben, dass sie seit fünfundzwanzig Jahren zusammen waren und sie ihn in dieser Zeit nie betrogen hatte (er sie übrigens auch nicht). Nun also.
Er seufzte, sein linkes Auge begann zu tränen. Ach ja, er schälte gerade eine Zwiebel, die machte sich gut an der Schweinelende.
Pommes mit Schranke, Schweinelende, Käsebrot
Schiffler fühlte sich ein wenig unwohl. Er verspürte ein leichtes Ziehen im rechten Oberarm, möglicher Vorbote eines drohenden Herzinfarkts. Xaver, sein Freund und Hausarzt, den er unverzüglich angerufen hatte, beruhigte ihn. Ein Termin wurde dennoch vereinbart. »Wir werden alt, mein Lieber«, scherzte der Mediziner. »Wahrscheinlich nur eine Muskelverspannung. Was macht die Potenz?«
Dumme Frage. Sie war ausreichend. Nicht mehr so wie früher, na klar, aber wenn man genug Eiweiß zu sich nahm, ein Dutzend Austern etwa, schoss das Blut schon dorthin, wo es gebraucht wurde. Außerdem war Schiffler der Vollzug an sich mit den Jahren immer nebensächlicher geworden. Es ging um dieses Kribbeln bei der Werbung, um den libidinösen Kick, wenn man merkte: Bingo, die Kleine hast du so gut wie im Bett.
Der Rest war Routine. Schiffler hatte
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