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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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schlecht und irgendwie betrogen, ohne dieses Betrogenwordensein genauer begründen zu können. Ein vages Gefühl... Doras Gesicht, als die Lust ihren Höhepunkt erreichte. Diese eine Silbe, die sie herausgestöhnt hatte, »Si...«. Was sollte das heißen? Sieg? Oder war es das spanische Wort für »ja«? Er wusste es nicht und wollte auch nicht spekulieren. Dennoch ahnte er, dass sie in diesem Moment nicht an ihn und seine ganz bestimmt vorzügliche Arbeit in ihr gedacht hatte, sondern an jemanden oder etwas anderes. An den letzten Spanienurlaub? Es war wirklich müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Er nahm die Rechte vom Lenkrad und tastete nach dem Zündschlüssel. Er ließ ihn sofort wieder los, als er Madeleine Vulpius über den Parkplatz gehen sah.
    Nein, er glaubte das nicht. Sie unterhielten sich, sie stiegen ein, sie fuhren davon. Er ließ den Wagen an, setzte den rechten Blinker, obwohl er nach links hatte fahren wollen. Er musste herausfinden, was da los war. Sie und er, das war wie... Dora und er? Nein, Blödsinn, das war wie ein Schmetterling und eine Schmeißfliege. Sie fuhren Richtung Innenstadt, bogen dann nach links, die Bremslichter leuchteten auf. Sie hielten am Straßenrand, direkt vor einer Pommesbude.

    *

    Mein Gott, das war nicht normal. Sie standen an dieser Würstchenbude, in der ranziges Fett qualmte, und aßen Pommes mit Schranke. »Mit Schranke?« Das hatte sie noch nie gehört, aber sie ahnte so langsam, dass die Welt sowieso irgendwie anders war als in ihren Lehrbüchern beschrieben.
    »Ja«, klärte Bergengruen sie auf, »das sind halt Pommes mit Mayo und Ketchup, sieht aus wie so ne Bahnschranke. Deshalb. Oder willst du was andres essen? Currywurst?«
    Sie wollte Schweinelende, aber es gab gute Gründe, ihm das nicht zu sagen. Allein das Wort Schweinelende hätte wohl genügt, ihn sexuell so zu stimulieren, dass er den Verkehr an Ort und Stelle vollziehen würde, ohne moralische Schranke gewissermaßen. Besser sie dachte gar nicht erst an so etwas.
    Schon als sie sich auf dem Parkplatz gegenüberstanden, er zu reden anfing, war ihre gesamte rationale Argumentation - »Du bist verrückt, Madeleine, tu es nicht!« - wie das legendäre Kartenhaus zusammengebrochen. Ja, etwas lag in seiner Stimme, sie schien eine Substanz zu enthalten, die auf den gesunden Menschenverstand so zerstörerisch wirkte wie Salzsäure auf Autolack. Im Wagen hatte er seine linke Hand auf ihr rechtes Knie gelegt und »Ich fahr total auf dich ab, Süße« gemurmelt. Als sie schaltete, bemerkte er grinsend, sie solle bloß nicht nach dem falschen Knüppel greifen. Jetzt aßen sie schweigend stinkende Pommes und Madeleine kümmerte sich nicht um den roten Fleck auf ihrer Bluse. Sie war wie berauscht, nein, sie war betrunken und verkatert zugleich, euphorisch und ernüchtert, obwohl nur er ein Dosenbier trank oder, wie er es ausdrückte, »zischte«.
    Sie stiegen wieder in den Wagen, er trug seine Bierfahne wie ein Kriegsbanner stolz vor sich her. »Wohin?«, hörte sich Madeleine fragen, ihre Stimme war die eines jungen Mädchens. Nein, hier sprach nicht Madeleine Vulpius, die Psychologieprofessorin, der soeben schmerzlich bewusst wurde, dass sie eigentlich nichts von Psychologie verstand. Hier sprach gerade Madeleine Leinweber, höchstens 17, unverheiratet, unberührt, unbedarft, ungeduldig, unruhig, sie fuhr ihrer Entjungferung entgegen.
    »Zu mir«, antwortete Bergengruen und nannte eine Adresse. Dann legte er seine Hand wieder auf ihr Knie. Sie schaltete einen Gang höher. Bloß nicht den falschen Knüppel greifen, dachte sie.
    Mit was sich wohl Konrad gerade beschäftigte? Er würde kochen, so oder so. Dann müde werden, den Fernseher einschalten und bei den Sieben-Uhr-Nachrichten einschlafen. Wenn sie dann heimkäme, würde er ihr das Essen aufwärmen, ihr zuschauen, wie sie die Schweinelende zerteilte, das Gemüse kaute, viel zu lange. Er würde sie nichts fragen, er würde alles wissen. Er würde nicht einmal traurig schauen, schon gar nicht wütend. Sie ginge dann ins Bad, um ausgiebig zu duschen, stundenlang. Käme sie dann zurück ins Wohnzimmer, würde Konrad auf dem Sofa liegen und durch das Nachtprogramm zappen. An irgendeiner Talkshow hängenbleiben, Thema »Wenn Frauen fremdgehen«. Mein Gott, bloß nicht.
    »Kannst du mal da vorne an der Tanke halten?«, meldete sich Bergengruen. »Ich muss noch Gummis besorgen. Oder bist du schon in den Wechseljahren? Nee, oder? Hast du zufällig ein bisschen

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