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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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Lippen lecken. Und dann eine weiße Bluse und dito Kniestrümpfe dazu? Die Haare in Zöpfchen? Nein. Weiß. Komplett. Hose, Shirt, Unterwäsche. Nur die Ballerinas, die nicht, sie besaß überhaupt keine weißen Schuhe, also die schwarzen Schlappen wegen des Kontrasts. Prima, dann wäre das geklärt.
    Als sie später angezogen war und doch einen Blick in den Spiegel gewagt hatte (den großen im Flur), zog sie sich sofort wieder aus. Leider stand sie dabei immer noch vor dem Spiegel, leider schaute sie hinein, leider waren ihre Beine immer noch zu kurz und dabei waren die Beine noch das Beste an ihr. Damit bringst du nicht mal einen alten Mann in die Nähe eines Schlaganfalls, dachte Dora. Scheiß Sexualleben. So verdammt kompliziert. Meschugge halt.
    »Wow!«, dachte Simone. Sie trägt weiß. Naja, bis auf die Ballis. Mein süßes Bräutchen. Ihr Körper verspannte sich, sie rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, ausgerechnet jetzt wurden am Nebentisch Lachsalven abgefeuert, irgendjemand hatte einen Witz erzählt. Dora stand am Eingang und schaute sich um, sah Simone, hob zögernd den rechten Arm und setzte sich in Bewegung. Sie torkelte wie betrunken, wie Simone nach dem sechsten Glas Weißwein, damals auf der Abifeier. Mein Gott, wie peinlich! Und dann wäre sie beinahe mit dem Englischlehrer im Bett gelandet, wo sie dort doch lieber mit der Deutschlehrerin gelegen hätte.
    »Hey!«
    »Hey!«
    So beginnt es also, dachte Simone, mit einem hochintellektuellen Dialog.
    »Wartest du schon lange?«Aha, der Klassiker.
    »Nein, eben erst gekommen.« Der andere Klassiker.
    »Okay.«
    »Hm.«
    »Was trinkst du da?«
    »Gin Fizz.«
    »Cool. Ich glaub, ich nehme auch einen.«
    Sie hat in ihrem Leben noch keinen Gin Fizz getrunken, dachte Dora. Es war auch ihr erster, aber er schmeckte ganz okay. Besser als Weißwein.
    Dora zog den Stuhl zurück und setzte sich Simone gegenüber. Sie lächelten sich an wie scheue Rehe auf einer Lichtung und schwiegen. Na supi. Sag was.
    »Hast du Hunger?«, fragte Simone und griff nach dem Stück Papier, das hier auch Speisekarte genannt wurde und außer »Pizzaschnitte nach Art des Hauses 4,50« keine kulinarischen Mysterien feilbot. Dora schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht«, sagte Simone.
    Sie hatte sich entschieden, ganz in Schwarz beim Date zu erscheinen. Schwarzer Rock, schwarzes Shirt, schwarze Strümpfe, schwarze Ballis, schwarzes Höschen, schwarzer BH. Sie war das personifizierte Gegenteil von Dora, passte doch. »Schmeckt gut«, sagte Dora, verzog das Gesicht und stellte das Glas zurück auf den Tisch. »Freut mich«, antwortete Simone und dann, todesmutig: »Wie geht’s dir so?« Dora stutzte, die Frage überforderte sie sichtlich. Wenn du jetzt »gut und dir?« sagst, können wir auch gleich bei Facebook weiterchatten, dachte Simone.
    »Naja«, sagte Dora und schaute in ihr Glas. Naja? Keine gute Antwort. Und was sollte sie jetzt dazu sagen? Aha? Oder nachfragen, wieso naja?
    »Ach so«, flüsterte sie, so leise, dass Dora aufschaute und »ja« sagte. Simone fuhr einen Arm aus, schob ihn über den Tisch, bis ihre Finger die Doras berührten. Wenn sie die jetzt wegzieht, ist alles vorbei, fürchtete Simone, doch die Finger blieben liegen. Sie waren kalt und etwas feucht.
    »Bist du aufgeregt? Gehts dir nicht gut? Kann ich dir helfen?«
    Drei Fragen, viel zu viele. Und sag jetzt nicht dreimal naja.
    Dora sagte gar nichts. Sie schaute immer noch in ihr Glas, ihre Finger in Simones Hand bewegten sich nicht. Simone drückte ein wenig. »Ganz nett hier, oder?« Jetzt nickte Dora immerhin. »Aber ziemlich laut«, schränkte Simone ein. Dora zuckte mit den Schultern, bevor sie »hm« sagte.
    Es wurde tatsächlich immer lauter, neue Gäste kamen, einige schon angetrunken. »Gehen wir ein bisschen an die frische Luft?« Wieder nickte Simone und jetzt zuckte ihre Hand ein wenig. Sie fühlte sich nun warm an, immer noch ein wenig feucht. Und erwiderte Dora nicht gerade den Druck? Ganz leicht nur, aber sie erwiderte ihn.

    *

    Frische Luft. Dora sog sie tief in ihre Lungen, sofort musste sie husten. Dem ersten war ein zweiter Gin Fizz gefolgt, gutes Zeug, Simone und sie schienen den gleichen Geschmack zu haben, wenigstens bei Alkoholika. Und Simones Hand auf der ihren war weich gewesen, sanft und beruhigend, zugleich erregend, aber so, wie Dora es nie zuvor gefühlt hatte. Sie liefen durch die Fußgängerzone, eingehakt, ganz dicht beieinander.
    »Hast du es dir gut überlegt?«,

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