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Die Vermessung der Lust (German Edition)

Die Vermessung der Lust (German Edition)

Titel: Die Vermessung der Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catrin Alpach
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an.

    *
    Er hatte lange am Schreibtisch gesessen und sich allmählich im Labyrinth seiner Gedanken verlaufen, dabei war ihm wohl der Ariadnefaden, der ihn sicher zum Ausgang hätte geleiten können, aus der Hand gerutscht. Irgendwann war er davon überzeugt, durch einen fremden Kopf zu irrlichtern, den Kopf eines alten Mannes, der nicht wusste, in was für einem Körper er gefangengehalten wurde. »Ich bin alt«, flüsterte Schiffler und obwohl er den Satz nur gehaucht hatte, klatschte er gegen die Wände und zerplatzte mit ohrenbetäubendem Lärm.
    Das alles kam so überraschend und unvermittelt, als hätte ein Fingernagel die Haut eines aufgeblasenen Luftballons eingeritzt. Päng. Die Gedanken schleuderten heraus und zerstäubten zu Nichts. Ein alter Mann.
    Dann sah er das Bild in seinem Kopf. Damals, knappe zehn Jahre mochte es her sein, das dürre Mädchen im Hotelzimmer, wie hieß sie eigentlich?, Brüste, die sie »zwei Erbsen auf ein Brett genagelt« nannte, ein kurzes, enges Kleid aus ineinanderfließenden Blau- und Weißtönen, Sportschuhe, ein dunkelrosa Höschen und ein dito Pushup-BH, mit der sie der Welt die Anwesenheit praller Hügel vorgaukelte. Sie hatten nebeneinander auf dem Bett gelegen, vollständig bekleidet, das Mädchen mit geschlossenen Augen, der alte Mann, ER, schwitzend (dreißig Grad oder mehr) und mit einer veritablen Erektion, natürlich. Was wollte er hier eigentlich? Neben einem Mädchen liegen, nichts weiter. Vielleicht würden sie sich die Hände geben und die Finger drücken, vielleicht durfte er sie in den Nacken küssen.
    Sie hatte Schiffler eine Mail geschrieben und offenbart, in ihn verliebt zu sein. Er war geschmeichelt, er kopierte die Mail, druckte sie aus, las immer wieder die Sätze, die so mager wie das Mädchen selbst waren. Was hatte sie geschrieben? Schiffler versuchte sich zu erinnern, aber außer »Ich liebe Sie!« fiel ihm nichts mehr ein. Ausrufezeichen.
    Nein, er hatte sich dagegen gesträubt, sie konnte doch höchstens neunzehn sein. Irrtum. Sie war siebzehn und keine registrierte Studentin, nur ein Mädchen, das vor Wochen die Schule geschmissen und sich in die Vorlesung gesetzt hatte, weil man sich ja irgendwie die Zeit vertreiben musste, und Psychologie interessierte sie halt. Siebzehn. Minderjährig. Strafbar, oder? Nein, einvernehmlicher Sex mit Personen ab sechzehn Jahren ist auch Erwachsenen erlaubt, das konnte man googeln. In ihrer zweiten Mail hatte sie es offenbart, siebzehn, total in ihn verknallt, Tumulte im Kopf, lodernde Buschbrände in ihrem Höllenschlund. Doch, sie nannte ihre Geschlechtsteile Höllenschlund, das gefiel ihm irgendwie. Schiffler, der Teufel.
    Nein, er wollte nicht. Zu kompliziert, keine Zukunft. Ein Fick, mehr nicht, eventuell ein paar aufregende Wochen, Monate, dann würde sie einem anderen Mails schicken, »Ich liebe sie!!!«, mindestens drei Ausrufezeichen. Er schrieb ihr zurück. Sie schrieb ihm zurück. Er verbot ihr, seine Vorlesungen zu besuchen, sie ließ sich davon nicht abhalten. Hockte in der ersten Reihe, wie ein Schulmädchen gekleidet oder ein Cheerleader, er verhaspelte sich, erlaubte sich unzählige »Ähs«, schrieb ihr »Nein«, ohne Ausrufezeichen, das war der entscheidende Fehler. Zwei Tage später lagen sie im Bett eines Hotelzimmers und dann tastete sich ihre Hand zu der seinen, nahm sie, drückte sie, spielte mit den Fingern. Und dann waren sie nackt, dann berührten sie sich, streichelten sich, küssten sich, schmeckten sich. Und so weiter.
    Wie war er in diesen Film geraten? Weil es der erste war, der erste einer ganzen Reihe ähnlicher Streifen. Alter Mann und junges Mädchen. Natürlich hatte sie ihn nach vier Monaten verlassen. Immerhin: vier Monate. Dreiundzwanzig Mal Beischlaf, auch nicht schlecht, dreiundzwanzig Orgasmen für ihn, vielleicht eine Handvoll für sie, die hatte er nicht mitgezählt, das war ihm zu unsicher, er kannte ja die Frauen und ihre Vorliebe für die Täuschung.
    Und wie kam er aus diesem Film wieder heraus? Keine Ahnung. Er stolperte durch das Labyrinth, geriet in die Fänge eines irren Experimentalfilmers, der in schnellen Schnitten dazu übergegangen war, aus allen Filmen mit dem alten Mann und den jungen Mädchen einen einzigen zu machen. Er küsste die Siebzehnjährige und berührte im nächsten Moment die Brüste einer Dreiundzwanzigjährigen, bevor er sein Glied stöhnend in die Vagina einer Zwanzigjährigen schob, die dazu nicht Höllenschlund sagte, sondern Pussy oder

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