Die Vermessung des Körpers
drei Primärfarben Rot, Blau und Grün, aus denen jede andere Farbe erzeugt werden kann. Man hat Ihnen möglicherweise gesagt, die Primärfarben seien Blau, Rot und Gelb, aber das ist schlicht und ergreifend falsch. Es handelt sich dabei um eine vereinfachte Kinderversion der Sekundärfarben Zyan, Magenta und Gelb, den visuellen Negativen der Primärfarben. Die Sekundärfarben sind zwar die Schlüsselfarben der Pigmente, weil Pigmente die Primärfarben des Lichts absorbieren, aber sie sind eben nicht die Primärfarben selbst.
Die Nachtsicht unterscheidet sich so stark vom Farbsehen, weil dabei lediglich unterschiedliche Helligkeitswerte erkannt werden. Es gibt jedoch eine Übergangszone (das sogenannte mesoptische oder Dämmerungssehen), in der beide Sehensformen gemeinsam auftreten. Wenn dies geschieht, ist es, als wäre dem Spektrum eine völlig neue Farbe hinzugefügt worden, die zuvor nicht existiert hat. Das Sehen in diesem Lichtzwischenniveau ist etwas sehr Eigenartiges – und es erklärt, warum die meisten Geister und andere visuelle Phänomene in der Dämmerung »beobachtet« werden. Es ist die Zeit, in der uns unsere Augen am ehesten in die Irre führen, weil zwei Systeme miteinander darum konkurrieren, Informationen für unser Gehirn zu produzieren.
Die der Farberkennung dienenden Zapfen konzentrieren sich um die Augenmitte – wenn das Licht sehr schwach ist, erkennt man Dinge besser, wenn man sie direkt anschaut und damit die gewaltige Menge an Stäbchen an den Rändern unseres Gesichtsfeldes nutzt.Unsere Augen scheinen so aufgebaut zu sein, dass man aus dem Augenwinkel immer nach Raubtieren Ausschau halten kann, die sich des Nachts anschleichen könnten. Die drei Zapfentypen sind, vereinfacht beschrieben, jeweils für Rot, Blau und Grün zuständig, wenngleich sich das von ihnen abgedeckte Farbspektrum eigentlich stark überlappt. Vielmehr ist es so, dass ihre größte Empfindlichkeit in einem bestimmten Farbbereich liegt. Manche Menschen oder Tiere sind farbenblind. Hunde wiederum können nur begrenzt Farben wahrnehmen, weil sie nur zwei Arten von Zapfen besitzen.
Vom Licht zum Geist
Das Photon, das wir von Alnilam bis zu Ihren Augen verfolgt haben, gelangt bis nach hinten zur Netzhaut (die Rezeptoren im Auge sind seltsamerweise von hinten nach vorne angeordnet, wobei die empfindlicheren hinten liegen – möglicherweise eine Laune der Evolution). Auf der Oberfläche jedes Sensors befinden sich ein paar spezielle »Fotorezeptormoleküle«. Wenn die Elektronen in diesen die Lichtphotonen absorbieren, wird eine winzige elektrische Spannung erzeugt, die den Ausgangspunkt für ein Signal ans Gehirn darstellt.
Einige Signale werden in diesem Stadium kombiniert und erst dann an die Sehnerven weitergeleitet. In dem Nerv gibt es bedeutend weniger Fasern, als es Sensoren gibt. Also muss bereits im Auge eine gewisse Verarbeitung stattfinden, bevor ein Signal ans Gehirn geht. In der Regel gehen die Verbindungen vom rechten Auge zur linken Gehirnhälfte und die vom linken Auge zur rechten Gehirnhälfte, doch ein bestimmter Teil der Fasern geht quer zur anderen Seite hinüber, sodass beispielsweise einige Signale vom rechten Auge zusammen mit den Informationen vom linken Auge verarbeitet werden können. Dieser »Kreuzverkehr« ermöglicht das dreidimensionale Sehen – bei Vögeln etwa, deren Augen viel unabhängiger arbeiten als unsere, kommt es weitaus seltener zu solchen Übergängen.
Auf dieser Stufe haben wir es also mit einer Reihe elektrischer Signale zu tun. Das Gehirn verarbeitet diese, indem es eine Ansammlung von Modulen verwendet, die für verschiedene Bereiche des Sehens verantwortlich sind. Diese Module (keine separaten Gehirnteile, aber getrennte Funktionen innerhalb eines Hirnbereichs) erkennen Bewegungen, Einzelheiten, Muster, Formen und so weiter.
Nach dieser ersten Verarbeitung liegt dem Gehirn eine bestimmte Datenmenge vor, aus der es nun ein Bild davon bastelt, was Sie sehen. Es konstruiert einen Nachthimmel mit dem Stern Alnilam als aktuellem Zentrum Ihres Blicks. Dies unterscheidet sich grundlegend davon, wie eine Kamera ein Bild aufnimmt. Was Sie »sehen«, ist eine künstliche Konstruktion, die das Gehirn aus all den Signalen und einer Vielzahl von Prozessen erzeugt. In gewisser Weise ist diese Konstruktion weitaus weniger »real« als eine einfache Fotografie.
Unsere künstliche Weltsicht
Die künstliche Natur des Sehens ist der Grund dafür, dass optische Täuschungen
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