Die Vermessung des Körpers

Verhalten und Erfüllung in der Liebe nicht umfassend zu erklären, wenngleich es ebenso ignorant wäre, anzunehmen, dass ein vom Fortpflanzungstrieb gesteuertes sexuelles Verlangen nicht einen Großteil unseres Verhaltens bestimmt. Wir haben einen starken natürlichen Instinkt, neues Leben zu erschaffen.
Wer ein Omelett machen will, muss ein paar Eier zerbrechen
    In Ihrem Fall begann das Leben mit einem Ei, genau wie bei den Hühnern. Kein festes, rundliches Ding mit Schale, das in ein Nest gelegt wurde, aber nichtsdestotrotz ein Ei. Zwischen einem Hühnerei und einem menschlichen Ei besteht jedoch ein signifikanter Unterschied, der eine überraschende Auswirkung auf Ihr Alter hat.
    Menschliche Eier sind winzig. Schließlich bestehen sie ja nur aus einer einzigen Zelle. Typischerweise haben sie einen Durchmesser von etwa 0,2 Millimetern. Das entspricht etwa der Größe eines Punktes in gedruckter Schrift. Das Ei, aus dem Sie stammen, bildete sich in Ihrer Mutter, doch das Überraschende daran ist, dass es sich bereits bildete, als sie selbst noch ein Embryo war. Die Entstehung dieses Eies, und damit auch derjenigen Hälfte Ihrer DNS, die von Ihrer Mutter stammt, könnte man, wenn man so will, als Beginn Ihrer Existenz betrachten. Ihr Alter umfasst nicht nur die Spanne Ihres eigenen Lebens, sondern ist die Summe Ihres Alters und des Alters Ihrer Mutter bei Ihrer Geburt. Sagen wir, Ihre Mutter war 30, als Sie auf die Welt kamen, dann könnten Sie an Ihrem 18. Geburtstag sagen, Sie seien 48 Jahre alt.
Auf prähistorische Weise
    Freilich ist das eine ziemlich abstrakte Vorstellung vom Beginn Ihrer Existenz. Wir neigen dazu, den Beginn unserer Existenz mit dem Augenblick unserer Geburt als separate, lebende Einheit gleichzusetzen. Wenn Sie (wie ich) über 50 sind, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Sie um zwei Uhr in der Früh zur Welt gekommen sind (wie ich). Heutzutage verlaufen viele Geburten so kontrolliert, dass dies weniger häufig geschieht, doch scheint eine natürliche Tendenz zu bestehen, dass Geburten während des stillsten Teils der Nacht stattfinden. In einer Studie mit Zoo-Schimpansen wurden rund 90 Prozent der Tiere mitten in der Nacht geboren, kurz nach Mitternacht.
    Es liegt nahe, dass wir die Anlage, zu solch »ungelegener« Zeit zu gebären, von unseren Vorfahren geerbt haben, weil es für potenzielle Beutetiere die sicherste Zeit ist, erstmals das Licht der Welt zu erblicken. Bevor wir Technologien entwickelten, waren Menschen mehr Beute als Räuber. Zum Zeitpunkt der Geburt waren Mutter und Kind besonders schutzlos, sodass es günstiger für sie war, wenn andere Menschen zugegen waren, anstatt tagsüber als Jäger und Sammler durch die Gegend zu streifen.
    Dies ist eines von vielen Beispielen für Verhaltens- und Reaktionsmuster, die besser in die Frühzeit des Menschen passten als in unser heutiges Leben. In den vergangenen 100 000 Jahren haben wir uns nicht wesentlich weiterentwickelt. Biologisch sind wir dafür geschaffen, uns in einer Welt zurechtzufinden, wie sie damals war, nicht in der Welt, in der wir heute leben – das schließt auch die Vorgänge in unserem Gehirn ein, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Wir haben immer noch mehr Angst vor Schlangen als vor Autos, obwohl jedes Jahr 1,25 Millionen Menschen auf der Straße sterben und nur einige Zehntausend durch Schlangenbisse (auf Europa und die USA entfällt davon sowieso nur ein winziger Bruchteil).
    Stattdessen verdanken wir sämtliche großen Veränderungen seit unserem ersten Auftritt als Homo sapiens allein unserem Denken und unserer Fähigkeit, neue Technologien zu entwickeln. Die wahrscheinlich erste große Veränderung war, dass wir vom Beutetier zum ultimativen Räuber wurden. Praktisch unsere gesamte früheste Technologie – beispielsweise, einen Felsbrocken in die Hand zu nehmen – diente dazu, diesen Rollenwechsel zu vollziehen.
Die Steinzeittechnologie im Park
    Was Sie und Ihren Körper am meisten von allen anderen Tieren auf diesem Planeten unterscheidet, ist demnach Ihr Einsatz von Technologien im weitesten Sinne. Wir preisen Stonehenge als Meisterleistung frühzeitlicher Technologie, doch wenn Sie im Park spazieren gehen, begegnen Sie wahrscheinlich einer noch viel älteren Technologie, die heute noch in Gebrauch ist und die einen großen Anteil daran hat, dass wir uns erfolgreich vom Beutetier zum Räuber mausern konnten – dem Hund.
    Das klingt zunächst reichlich seltsam. Wie kann ein Hund eine