Die Vermessung des Körpers
Technologie sein? Das ist doch ein Lebewesen. Und doch unterscheiden sich Hunde in zwei Punkten eindeutig vom Wolf, von dem sie abstammen. Sie sind deshalb weniger natürlich, sondern vielmehr künstlich durch Züchtung erschaffen. Erstens haben Hunde Funktionen – sie existieren nicht einfach neben dem Menschen, sondern üben eine Aktivität für uns aus. Zweitens sind Hunde das erste Beispiel für Tiere mit einer bewusst vorgenommenen Genmanipulation, da sie mit einer bestimmten Absicht im Sinn gezüchtet wurden.
Ein Hund kann schneller rennen als ein Mensch. Er besitzt einen wesentlich effizienteren Geruchssinn. Seine Kiefer sind kräftiger, seine Zähne größer und gefährlicher als die vergleichsweise schwachen Zähne menschlicher Wesen. Wenn man an Jagd- oder Wachhunde denkt (die beiden ersten Funktionen des »besten Freundes des Menschen«, die uns dabei halfen, erfolgreiche Räuber zu werden), dann sind sie eine ausgezeichnete Waffe, die auch dann funktioniert, wenn man gerade nicht da ist, und stellen für jeden Angreifer eine Gefahrenquelle dar.
Aufgrund ihres Rudelverhaltens wurden Hunde rasch mehr als nur bloße Werkzeuge und entwickelten eine ebenso enge wie komplexe Beziehung zu ihren Besitzern. Dass diese Beziehung vielschichtig ist, lässt sich daran ablesen, wie sich unsere Einstellung dem Hund gegenüber in verschiedenen Kulturen mit der Zeit verändert hat. Obwohl praktisch jede Zivilisation Hunde als Nutztiere hält, unterscheiden sich die Ansichten über ihr Wesen doch gravierend. In nahöstlichen Kulturen wird der Hund häufig als schmutziger Aasfresser betrachtet, und ein Teil unseres Vokabulars, das auf die biblische Sprache zurückgeht, brandmarkt Hunde immer noch als dreckig, faul, gierig und schamlos.
Das hinderte uns allerdings nicht daran, im großen Stil Hunde als Nutztiere zu züchten. Im Spätmittelalter entwickelte sich eine strenge Unterscheidung zwischen den »edlen« Hunden, die vom Adel als Haustiere gehalten und verhätschelt wurden, und den Arbeitshunden, die man ebenso wenig fürsorglich behandelte wie alle anderenTiere in der damaligen Zeit. Die Unterscheidung zwischen Haus- und Arbeitstieren ist zu einem gewissen Maß bis heute erhalten geblieben, wenngleich sie nicht mehr in einer Trennung nach Rassen ihren Ausdruck findet, da mittlerweile praktisch Hunde aller Rassen als Haustiere gehalten werden.
Historisch wurden die Züchtungen anhand von Eigenschaften vorgenommen, die einem bestimmten Zweck dienlich waren. Schwere, kräftige Doggen als Wach- und Jagdhunde; intelligente, sanftmütige Retriever, um erlegtes Wird aufzuspüren und zu apportieren; drahtige Terrier, die in Fuchslöcher krochen oder die Rattenplage eindämmten; Hunde mit feiner Nase als Spürhunde – wie bei jeder flexiblen Technologie wurden auch viele verschiedene Modelle des Hundes entwickelt, um den jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Manche dieser Einsatzbereiche gibt es heute noch. Wenngleich die meisten Hunde Haustiere sind, erweitern doch nach wie vor auch Arbeitshunde unsere menschlichen Möglichkeiten – manche davon in einer Weise, die man sich bei den ersten Hundezüchtungen nicht hätte träumen lassen. Nach den Jagd- und Schutzfunktionen setzte man Hunde ein, um kleine Karren und Schlitten zu ziehen, den Spieß am Feuer zu drehen und Kriminelle aufzuspüren. Auf dem Hof wurde der Hund als Helfer in der Schafzucht unverzichtbar. Die Jagdhunderassen wurden diversifiziert – sie waren nun nicht mehr nur einfache Tötungshelfer, sondern teilten sich in Lauf-, Spür- und Apportierhunde auf.
Hunde als Prothesen
Am bemerkenswertesten von allem ist jedoch die Rolle, die Hunde als Erweiterung des menschlichen Körpers einnehmen und somit Blinden, Tauben und Behinderten als Helfer dienen. Es gibt Hinweise darauf, dass Hunde schon recht früh als Blindenhelfer eingesetzt wurden. Bei Ausgrabungen in der römischen Stadt Herkulaneum, die beim Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 v. Chr. unter einem Ascheregen versunken war, fand man eine Wandmalerei, die eine von einemHund geführte Person zeigt. Auf einer mittelalterlichen Holztafel ist ein blinder Mann dargestellt, dem ein Hund als Helfer zur Seite steht.
Im 19. Jahrhundert wurde der Gedanke zwar in einigen Büchern beiläufig erwähnt, aber bis zum Ersten Weltkrieg scheint ihn niemand ernst genommen zu haben. Der erste organisierte Versuch, Blindenhunde auszubilden, fand im Jahr 1916 in Deutschland statt, wo die Tiere im Kampf erblindete
Weitere Kostenlose Bücher