Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

Unbekannte, um zuverlässig berechnet werden zu können oder um überhaupt das Risiko zu berechnen. Gewiss können wir es versuchen, aber diese Ungewissheiten müssen berücksichtigt – oder zumindest anerkannt – werden.
    Ein vernünftiges System, das Kosten und Risiken in der nahen und weiteren Zukunft vorhersieht, wäre gewiss nützlich. Aber nicht alle Kompromisse können einfach nur im Hinblick auf ihre Kosten bewertet werden. Was ist, wenn das gefährdete Gut überhaupt nicht ersetzt werden kann? [45]   Wäre die Erzeugung eines die Erde verschlingenden schwarzen Lochs durch den LHC etwas gewesen, das mit einer angemessenen Wahrscheinlichkeit während unseres Lebens oder auch nur innerhalb einer Million Jahre auftreten könnte, hätten wir gewiss den Stecker gezogen.
    Obwohl wir letztlich durchaus von der Grundlagenforschung profitieren, sind die wirtschaftlichen Kosten bei der Aufgabe eines Projekts auch deshalb kaum zu berechnen, weil die Vorteile so schwer zu quantifizieren sind. Die Ziele des LHC schließen das Erlangen von Grundlagenwissen mit ein, u.a. ein besseres Verständnis von Massen und Kräften und möglicherweise sogar auch der Natur des Raumes. Zu den Vorteilen gehört auch eine gebildete, motivierte und technisch geschulte Bevölkerung, die von großen Fragen und tiefen Ideen über das Universum und seinen Aufbau inspiriert ist. In eher praktischer Hinsicht werden wir dem Informationsvorstoß folgen, den das CERN mit dem World Wide Web machte, und zwar mit dem »Grid«, das eine globale Informationsverarbeitung ermöglichen wird, sowie Verbesserungen der Magnettechnologie, die für medizinische Geräte wie z.B. MRT nützlich sein werden. Mögliche weitere Anwendungen der Grundlagenforschung können zwar letzten Endes gefunden werden, sind aber fast immer unmöglich vorherzusehen.
    Kosten-Nutzen-Analysen lassen sich nur schwer auf die Grundlagenforschung anwenden. Ein Rechtsanwalt wendete eine Kosten-Nutzen-Analyse scherzhaft auf den LHC an, als er bemerkte, dass der LHC neben dem äußerst geringen voraussichtlich enormen Risiko auch eine winzige Chance für gewaltige Vorteile böte, wenn er alle Probleme der Welt löst. Natürlich passt keines von beiden Ergebnissen in eine gewöhnliche Kosten-Nutzen-Analyse, obwohl Rechtsanwälte es – unglaublicherweise – versucht haben. [46]  
    Zumindest hat die Wissenschaft einen Nutzen davon, dass ihre Ziele »ewige« Wahrheiten sind. Wenn man herausfindet, wie die Welt funktioniert, dann ist das eben die Wahrheit, egal wie schnell oder langsam man es herausgefunden hat. Gewiss wollen wir keinen langsamen wissenschaftlichen Fortschritt. Aber die Verzögerung um ein Jahr zeigte uns, wie gefährlich es sein kann, wenn der LHC zu schnell in Betrieb genommen wird. Wissenschaftler versuchen im Allgemeinen, eine sichere Taktik einzuschlagen.
    Kosten-Nutzen-Analysen sind bei fast jeder komplexen Situation – wie z.B. Klimawandelpolitik oder Bankwesen – mit vielen Schwierigkeiten behaftet. Obwohl eine Kosten-Nutzen-Analyse im Prinzip sinnvoll ist und es möglicherweise keine grundlegenden Einwände dagegen gibt, kommt alles darauf an, wie man sie einsetzt. Befürworter der Kosten-Nutzen-Analyse bringen im Wesentlichen ein Kosten-Nutzen-Argument vor, um diesen Ansatz zu rechtfertigen, wenn sie die Frage stellen, was wir möglicherweise besser machen könnten – und sie könnten sogar recht haben. Ich plädiere einfach dafür, dass wir dort, wo wir die Methode anwenden, dies wissenschaftlicher tun. Wir müssen uns über die Ungewissheiten bei allen Zahlen, die wir präsentieren, im Klaren sein. Wie bei jeder wissenschaftlichen Analyse müssen wir Fehler, Annahmen und Voreingenommenheiten in Betracht ziehen und so offen sein, sie auch darzulegen.
    Ein Faktor, der bei Streitfragen mit Bezug auf den Klimawandel eine große Rolle spielt, besteht darin, ob die Kosten oder der Nutzen sich auf eine Person, eine Nation oder die ganze Erde beziehen. Die potentiellen Kosten oder Vorteile können diese Kategorien auch überspannen, aber wir berücksichtigen das nicht immer. Ein Grund dafür, dass amerikanische Politiker sich gegen das Kyoto-Protokoll entschieden, war, dass sie zu dem Schluss kamen, dass die Kosten den Nutzen für Amerikaner überstiegen hätten, insbesondere für amerikanische Unternehmen. Eine solche Kalkulation berücksichtigte jedoch nicht die langfristigen Kosten von Instabilitäten auf der ganzen Erde oder die Vorteile eines