Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Tatsächlich gilt genau das Umgekehrte. Bis wir bestimmte Annahmen oder Methoden endgültig ausschließen können, sind alle möglichen Resultate denkbar. Trotz der Ungewissheiten – oder vielleicht gerade auch wegen ihnen – ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas ganz Schlimmes mit dem Klima oder mit der Wirtschaft – oder bei Offshore-Bohrungen – passiert, nicht vernachlässigbar klein, da so viele Modelle gefährliche Resultate vorhersagen. Man kann vielleicht behaupten, dass innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist. Solange wir keine besseren Informationen haben, führen jedoch zu viele Szenarien langfristig zu verhängnisvollen Folgen, als dass man die Gefahren ignorieren könnte.
Leute, die sich nur für Reingewinne interessieren, wenden sich entschlossen gegen Regulierungen, während diejenigen, die an Sicherheit und Vorhersagbarkeit interessiert sind, dafür argumentieren. Die Versuchung, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden, ist nur allzu groß, da es äußerst schwierig – wenn nicht gar unmöglich – ist, die genaue Grenze zwischen beiden Positionen zu bestimmen. Wie bei der Berechnung von Risiken bedeutet die Tatsache, dass man den Entscheidungspunkt nicht kennt, nicht, dass es keinen gibt oder dass unser Ziel nicht die beste Annäherung sein sollte. Selbst ohne die Einsichten, die notwendig sind, um präzise Vorhersagen zu machen, sollten strukturelle Probleme in Angriff genommen werden.
Das bringt uns zu der letzten wichtigen Frage: Wer entscheidet? Was ist die Rolle der Experten, und wem fällt es zu, die Gefährlichkeit zu bewerten?
In Anbetracht des Geldes, der Bürokratie und der sorgfältigen Aufsicht, mit denen der LHC ausgestattet ist, können wir erwarten, dass Risiken angemessen analysiert wurden. Außerdem sind wir bei seinen Energien nicht einmal wirklich in einem neuen Größenbereich, in dem sich die wesentlichen Grundlagen der Elementarteilchenphysik als falsch herausstellen könnten. Die Physiker sind zuversichtlich, dass der LHC sicher ist, und wir warten gespannt auf die Ergebnisse der Teilchenkollisionen.
Das bedeutet nicht, dass auf den Wissenschaftlern keine große Verantwortung lastet. Wir müssen immer sicherstellen, dass Wissenschaftler verantwortlich handeln und auf Risiken achten. Wir wären gerne bei allen wissenschaftlichen Unternehmungen so sicher wie beim LHC. Wenn man Materie oder Mikroben oder etwas anderes herstellt, das es vorher noch nicht gab (oder tiefer bohrt oder in anderer Hinsicht neue Grenzen auf der Erde erforscht), muss man sicher sein, dass man nicht etwas dramatisch Schlimmes anrichtet. Es kommt darauf an, das vernünftig zu tun, und zwar ohne unbegründete Panikmache, die den Fortschritt und den Nutzen behindern würde. Das gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für jedes potentiell riskante Unternehmen. Die einzige Antwort auf angenommene Unbekannte und gar auf »unbekannte Unbekannte« besteht darin, so viele vernünftige Standpunkte wie möglich zu berücksichtigen und die Freiheit des Eingreifens zu haben, wenn es nötig sein sollte. Wie jeder, der im Golf von Mexiko wohnt, Ihnen bestätigen wird, müssen Sie in der Lage sein, den Zapfhahn zuzudrehen, wenn etwas schiefgeht.
Zu Beginn des vorangehenden Kapitels habe ich einige der Einwände zusammengefasst, die Blogger und Skeptiker über die von den Physikern zur Berechnung schwarzer Löcher verwendeten Methoden machten, unter anderem solche, die auf der Quantenmechanik beruhen. Hawking benutzte nämlich die Quantenmechanik, um den Zerfall schwarzer Löcher abzuleiten. Doch trotz Feynmans Aussage, dass »niemand die Quantenmechanik versteht«, verstehen wir Physiker doch ihre Implikationen, auch wenn wir kein tiefes philosophisches Verständnis davon haben, warum die Quantenmechanik wahr ist. Wir glauben an die Quantenmechanik, weil sie Daten erklärt und Probleme löst, die mit der klassischen Physik nicht zu bewältigen sind.
Wenn Physiker über die Quantenmechanik debattieren, dann bestreiten sie ihre Vorhersagen nicht. Ihr wiederholter Erfolg hat Generationen von verwunderten Studenten und Forschern dazu gezwungen, die Legitimität der Theorie zu akzeptieren. Die heutigen Debatten über die Quantenmechanik beziehen sich auf ihre philosophischen Grundlagen. Gibt es eine andere Theorie mit vertrauteren klassischen Prämissen, die trotzdem die sonderbaren Hypothesen der Quantenmechanik vorhersagt? Selbst wenn man im
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