Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)

aber ohne Gott bleibt das Wissen unerreichbar oder die Suche nach ihm lohnt sich nicht. Die Menschen können es nicht aus eigener Kraft schaffen – sie sind nicht die letzten Gebieter.
    Der Originaltitel meines Buches bezieht sich auf die verschiedenen philosophischen Ansätze und Ziele der Wissenschaft. Wissenschaft hat nichts mit passivem Verständnis und Glauben zu tun. Die Wahrheit über das Universum ist ein Zweck an sich. Naturwissenschaftler nähern sich aktiv der Schwelle zur Erkenntnis – der Grenze des Bereichs unseres Wissens. Wir stellen Fragen und forschen, und wir ändern unsere Ansichten, wenn Tatsachen und Logik uns dazu zwingen. Wir vertrauen nur auf das, was wir durch Experimente überprüfen, oder auf das, was wir von experimentell bestätigten Hypothesen ableiten können.
    Naturwissenschaftler wissen zwar erstaunlich viel über das Universum, aber wir wissen auch, dass es viel mehr gibt, was wir noch nicht verstehen. Ein großer Teil bleibt jenseits der Reichweite gegenwärtiger Experimente – oder sogar jeglicher Experimente, die wir uns ausdenken können. Doch trotz unserer Beschränkungen lässt uns jede neue Entdeckung eine weitere Sprosse auf unserem Weg zur Wahrheit emporsteigen. Manchmal kann ein einziger Schritt revolutionäre Auswirkungen auf unsere Weltsicht haben. Während Naturwissenschaftler anerkennen, dass unsere ehrgeizigen Bestrebungen nicht immer erfüllt werden, suchen sie doch unentwegt Zugang zu einem tieferen Verständnis in dem Maße, in dem technische Fortschritte mehr von den Bestandteilen der Welt für unseren Blick zugänglich machen. Wir suchen also nach umfassenderen Theorien, die alle neugewonnenen Informationen berücksichtigen können.
    Die Schlüsselfrage lautet dann: Wer hat die Fähigkeit – oder das Recht –, nach Antworten zu suchen? Forschen die Menschen aus eigener Kraft, oder vertrauen sie auf höhere Autoritäten? Bevor wir in die Welt der Physik eintreten, kontrastiert dieser Teil des Buches abschließend die Perspektiven von Wissenschaft und Religion.
    Wer trägt die Verantwortung?
    Wir haben gesehen, dass der Aufstieg des naturwissenschaftlichen Denkens im 17. Jahrhundert die christliche Einstellung zur Erkenntnis spaltete – was zu Konflikten zwischen verschiedenen begrifflichen Rahmenvorstellungen führte, die bis heute anhalten. Aber eine zweite Quelle der Spaltung zwischen Naturwissenschaft und Religion hatte mit Autoritätsfragen zu tun. In den Augen der Kirche wich Galileis Behauptung, dass er in der Lage sei, für sich selbst zu denken, und seine Anmaßung, die Fähigkeit zu besitzen, das Weltall unabhängig von der Kirche zu verstehen, zu weit vom christlichen religiösen Glauben ab.
    Als Galilei den Weg für die wissenschaftliche Methode bereitete, lehnte er blinden Gehorsam gegenüber der Autorität zugunsten der Durchführung und Interpretation von eigenen Beobachtungen ab. Er würde seine Ansichten ändern, um sie in Einklang mit Beobachtungen zu bringen. Dadurch eröffnete er einen ganz neuen Weg, wie man sich dem Wissen über die Welt annähern konnte – eine Methode, die zu einem viel größeren Verständnis und Einfluss auf die Natur führen sollte. Doch trotz (oder genauer wegen) der Veröffentlichung seiner wichtigsten Fortschritte wurde Galilei eingesperrt. Der Freimut bei seiner Schlussfolgerung über das Sonnensystem, als er sagte, dass die Erde nicht der Mittelpunkt ist, war für die religiösen Mächte der damaligen Zeit und ihre strikte Auslegung der Schrift zu bedrohlich. Mit Galilei und anderen unabhängigen Denkern, die die wissenschaftliche Revolution auslösten, wurde jede wortgetreue biblische Auslegung über das Wesen des Universums zum Gegenstand der Widerlegung.
    Galileis Wahl des Zeitpunkts war besonders schlecht, da seine radikalen Behauptungen mit der Blütezeit der Gegenreformation zusammenfielen, der Reaktion der katholischen Kirche auf die protestantische Abspaltung. Der Katholizismus fühlte sich durch Martin Luthers Befürwortung unabhängigen Denkens und der Auslegung der Schrift durch eine unmittelbare Lektüre des Textes anstatt durch ein nicht hinterfragtes Akzeptieren der kirchlichen Auslegung ernsthaft gefährdet. Galilei unterstützte Luthers Ansichten und ging sogar noch einen Schritt weiter. Er lehnte die Autorität ab und widersprach außerdem ausdrücklich der katholischen Interpretation religiöser Texte. [22]   Seine modernen wissenschaftlichen Methoden beruhten auf direkten