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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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schreckte hoch und schaute mich blinzelnd an, als hätte er mich noch nie gesehen. » Oh, tut mir leid, bin ich eingenickt?«
    Statt zu antworten, biss ich in mein Sandwich. Blake stützte sich auf seinen Ellbogen und durchsuchte die Tüte. » In diesen Tagen weiß ich manchmal gar nicht mehr, ob ich hungrig oder müde bin. Seit Montag rotieren wir nur noch.«
    » Und kommen Sie wenigstens voran?«
    Mit vollem Mund murmelte er: » Mehr oder weniger. Dass Sie diese Freundin aufgetrieben haben, war eine echte Hilfe. Wie kam es denn dazu?«
    Ich zuckte die Schultern. » Ich habe Rachel zufällig getroffen. Sie brannte darauf, jemandem davon zu erzählen, und da sie mich kennt…«
    Er nickte. » Sie vertrauen Ihnen bestimmt, weil Sie jung sind. Sie sind ihnen ähnlicher als die meisten anderen Lehrer hier.«
    » Wenn Sie sich da mal nicht täuschen. In Ihren Augen sehe ich vielleicht jung aus, aber ich glaube nicht, dass die Mädels mich als eine von ihnen betrachten. Für sie bin ich ganz klar eine Erwachsene.« Ich seufzte. » Diese ganze Sache mit Jenny– ich habe wirklich nichts davon bemerkt. Nicht ansatzweise.«
    » Machen Sie sich keine Vorwürfe. Keiner hat davon gewusst. Selbst die Eltern hatten keine Ahnung. Wie hätten Sie es denn da mitbekommen sollen?«
    Ich legte mein Sandwich ab und schlang die Arme um die Knie. » Trotzdem, ich hätte es merken müssen. Es lässt mich einfach nicht mehr los. Wissen Sie, manchmal ist sie nach dem Unterricht noch ein Weilchen dageblieben und wollte mit mir reden– über gar nichts Besonderes , einfach nur plaudern. Ich habe mir nie viel dabei gedacht, aber vielleicht hat sie ja auf eine Gelegenheit gewartet, mir davon zu erzählen. Und ich habe sie immer nur aufgefordert sich zu beeilen, damit sie nicht zu spät zu ihrer nächsten Stunde kommt.« Ich ließ meine Stirn auf die Knie sinken und verbarg mein Gesicht vor ihm, weil ich seinen kritischen Blick fürchtete. Doch sein entschlossener Tonfall ließ mich wieder aufblicken.
    » Unsinn. Wenn sie mit Ihnen hätte reden wollen, dann hätte sie es auch getan. Also, ich möchte Sie ja nicht beeinflussen, was das Mädchen angeht, aber sie war absolut undurchsichtig. Wir haben ihr ganzes Zimmer auf den Kopf gestellt und Unmengen von Zeug kriminaltechnisch ausgewertet, aber nichts Verwertbares gefunden. Offensichtlich war Rachel die Einzige, mit der sie darüber geredet hat, und selbst sie weiß ja kaum etwas. Fällt Ihnen vielleicht noch jemand anders ein, dem sie sich anvertraut haben könnte?«
    » Nein«, erwiderte ich bedauernd. » Ehrlich gesagt glaube ich, dass Jenny nur deswegen mit Rachel darüber gesprochen hat, weil sie eine Ausrede brauchte, und nicht, weil sie mit jemandem über ihren Liebhaber reden wollte.«
    » Wie hat ihr Rachel denn diese Deckung verschafft?«, fragte Blake interessiert.
    » Sie war die Einzige in der Klasse, die einigermaßen in der Nähe wohnte– mit dem Fahrrad vielleicht zehn Minuten entfernt. Rachel zufolge durfte Jenny zu ihr nach Hause radeln, damit sie gemeinsam Hausaufgaben machen konnten. Allerdings ist sie eben nie zu Rachel gefahren, sondern dorthin, wo sie sich mit diesem Freund und seinem Bruder getroffen hat.«
    » Und die Eltern haben nie Verdacht geschöpft?«
    » Das ist ja das Schöne am Handy. Wenn Diane Shepherd wollte, dass Jenny nach Hause kam, hat sie einfach kurz angerufen oder ihr eine SMS geschickt. Mit den Boyds hat sie nie telefoniert. Es bestand also keinerlei Gefahr, dass die Sache aufflog. Trotzdem hatte Jenny Rachel eingeschärft, sie zu decken, falls Mrs. Shepherd sie in der Schule einmal darauf ansprechen sollte.«
    » Ziemlich clever. Sie hat wohl alle nach ihrer Pfeife tanzen lassen?«
    » Offensichtlich.« Diese Vorstellung widersprach allerdings meinem Bild von Jenny derart, dass mir die Sache suspekt vorkam. » Aber vielleicht hat sich das alles ja eher ihr Liebhaber ausgedacht.«
    » Mmm«, erwiderte Blake unbestimmt. » Vielleicht.«
    Weiter sagte er nichts, und auch ich schwieg. Eine Ringeltaube gurrte in den Bäumen und durchbrach die Stille. Er starrte sinnierend ins Gras, und ich nutzte die Gelegenheit, ihn ausgiebig zu betrachten. Das grelle Sonnenlicht schimmerte in den Härchen auf seinen Armen und in den Wimpern, die sich fächerförmig auf seine Wangen legten. Ich hatte noch nie einen Mann mit so langen Wimpern gesehen. Allerdings waren sie der einzige feminine Zug an ihm. Er hatte sein Hemd so nachlässig in den Hosenbund gesteckt, dass

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