Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft (German Edition)
technologischen Mittel verwenden werden, um die Welt mit Gewalt zu erschüttern. Da Konflikte jedoch nicht nur von Einzelpersonen und kleinen Gruppen ausgehen, stellt sich die Frage, wie Staaten und politische Bewegungen die neuen Möglichkeiten nutzen werden, um ihre Ziele zu erreichen. Im nächsten Kapitel gehen wir daher der Frage nach, wie sich Konflikte und Kriege in einer fast vollständig vernetzten Welt verändern.
Kapitel 6 Die Zukunft der Konflikte und Kriege
Nie zuvor haben wir so viele Konflikte in aller Welt wahrgenommen. Die Flut von Bildern, Videos, Fotos oder Tweets über Gräueltaten erweckt oft den Eindruck, als lebten wir in einer ausgesprochen gewalttätigen Zeit. Doch das täuscht – geändert hat sich nicht die Zahl der Konflikte, sondern ihre Sichtbarkeit.
Im Gegenteil – wir sind heute friedlicher denn je zuvor. In den letzten Jahrhunderten ist die Gewalt innerhalb der Gesellschaft drastisch zurückgegangen, und zwar dank der Stärkung eines Staates, der das Gewaltmonopol beansprucht, und des Rechtsstaats, des Handels und der internationalen Diplomatie. Wie der Psychologe Steven Pinker in seinem Buch
Gewalt
schreibt, «fördern Entwicklungen wie diese unsere friedlichen Motive». Dazu gehören Empathie, Moral und Selbstbeherrschung, die uns «weg von der Gewalt und hin zu Kooperation und Altruismus» führen. [302] Sobald wir uns dieses Wandels bewusst sind, zeige sich die Welt in einem ganz anderen Licht, so Pinker: «Die Vergangenheit erscheint weniger unschuldig, und die Gegenwart weniger unheilvoll.» [303]
Würde Pinker in fünfzig Jahren eine neue Ausgabe seines Buchs schreiben, würde er auch die Vernetzung in seine Liste aufnehmen, denn angesichts der neuen Sichtbarkeit der Täter in einer vernetzten Welt wird Gewalt als Option immer unattraktiver, und der politische Wille wächst, Verbrechen zu unterbinden.
Trotzdem werden Konflikte, Kriege, Grenzstreitigkeiten und Blutvergießen noch auf Generationen hinaus zu einer Gesellschaft dazugehören, auch wenn sie im digitalen Zeitalter neue Formen annehmen. In diesem Kapitel gehen wir der Frage nach, wie sich verschiedene Formen der Konflikts, von der Diskriminierung und Verfolgung bis zur Kriegführung und Intervention, in den kommenden Jahrzehnten als Reaktion auf diese neuen Möglichkeiten und Sanktionen verändern werden.
Weniger Völkermorde, mehr Schikane
Gewalttätige Konflikte sind zu komplex, um sie nur auf eine Ursache zurückzuführen. Einer der Auslöser, der sich im Digitalzeitalter erheblich verändern wird, ist die systematische Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten, die in Gewalt umschlagen oder Gegengewalt provozieren kann. Wir gehen davon aus, dass Massenmorde vom Ausmaß eines Genozids in Zukunft deutlich schwieriger zu bewerkstelligen sein werden. Die Diskriminierung wird dagegen systematischer werden und vor allem auf persönlicher Ebene geschehen. Die zunehmende Vernetzung bietet den Verfolgern – seien es Behörden oder Bürger – völlig neue Möglichkeiten, Minderheiten und missliebige Gruppen auszugrenzen.
Regierungen, die bereits Minderheiten in der physischen Welt unterdrücken, werden in der virtuellen Welt ganz neue Möglichkeiten entdecken. In der Kombination von physischer und virtueller Diskriminierung wird die Repression besonders wirkungsvoll. Ein Staat, der eine Minderheit schikanieren will, könnte sie zum Beispiel ganz einfach aus dem Internet verschwinden lassen. Staaten mit einer starken Zensur wird dies nicht weiter schwerfallen: Die Behörden könnten einfach die Provider anweisen, sämtliche Seiten mit bestimmten Stichwörtern zu sperren oder zu schließen. Um verbleibende Inhalte auf Portalen wie Facebook oder YouTube zu beseitigen, könnten sie nach dem Vorbild Chinas zu aktiven Zensurmaßnahmen greifen und eine Verbindung automatisch unterbrechen, sobald ein verbotenes Wort entdeckt wird.
Um ein hypothetisches Beispiel zu nennen, könnte die chinesische Regierung auf diese Weise gegen die Minderheit der Uiguren im Westen Chinas vorgehen. Diese überwiegend muslimische Bevölkerungsgruppe, die im autonomen Gebiet Xinjiang lebt, hat seit langem ein angespanntes Verhältnis zu den Han-Chinesen, und in den vergangenen Jahren haben Separatistengruppen immer wieder für gewalttätige Unruhen gesorgt. So klein die Minderheit der Uiguren auch ist, hat sie der Führung in Peking in der Vergangenheit großes Kopfzerbrechen bereitet. Deswegen wäre es durchaus denkbar, dass die
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