Die Verraeterin
war, desto katastrophaler sah das Ende aus.
Für jedes noch so kleine Geschenk musste er einen schrecklichen Preis bezahlen.
Während Bartleby und er noch vor Sonnenaufgang zu diesem Ort gefahren waren, den zugedeckten Leichnam von Julian auf dem Rücksitz des Wagens, war ihm klar geworden, dass er verflucht sein musste, weil er der war, der er war, und das tat, was er eben tat. Weil er ein solches Leben führte. Weil er von Anfang an ungewollt gewesen war – ein Außenseiter in einer Welt, die er sehen, aber nicht berühren konnte. Er war von Beginn an mit einem Makel behaftet gewesen. Wie der sanfte Regen, der sich in eine entsetzliche Flut verwandelte oder wie die Morgensonne, die am Himmel aufstieg und die Erde bis Mittag verbrannte. Wie die sanfte Brise, die sich in einen Sturm entwickelte, verwandelte auch er alles, was er berührte und das am Anfang gut gewesen war, in Staub und Asche.
Verflucht.
Es war besser, dass Morgan sich von ihm fernhielt. Es war besser, dass sie sich an ihre Vereinbarung halten wollte und dass sie glaubte, er würde es auch tun – obwohl es ihn fast umbrachte, sich vorzustellen, nicht mehr in ihrer Nähe sein zu können, sie nicht mehr berühren zu dürfen.
Er wusste, dass er sie liebte. Er liebte sie aus ganzem Herzen. Sie machte ihn wütend, sie lenkte ihn ab, sie köderte ihn, forderte ihn heraus, trotzte ihm. Doch zugleich schenkte sie ihm eine Ruhe, die er noch nie zuvor erlebt hatte. Nach all den Jahren, in denen er das Gefühl gehabt hatte, innerlich tot zu sein, hatte sie ihm zu neuem Leben verholfen.
Mit ihr fühlte er sich … ganz.
»Wir sollten zurück. Ich muss sehen, wie es Mateo und Tomás geht«, sagte Bartleby und riss Xander aus seinen Gedanken. Er öffnete die Augen und stellte fest, dass ihn der Arzt mit ernstem Blick und gerunzelter Stirn betrachtete.
Xander nickte. Eiseskälte breitete sich in seinem Inneren aus. Er beugte sich nach unten, um die zwei Schaufeln aufzuheben und sie Bartleby zu reichen. »Gib mir noch einen Moment.«
Der Arzt legte fürsorglich eine Hand auf seine Schulter. »Lass dir Zeit«, murmelte er verständnisvoll, drehte sich dann um und ging langsam den Hügel hinunter zu ihrem Wagen. In jeder Hand hielt er eine der Schaufeln, die wie zwei gruselige Wanderstöcke aussahen.
Xander starrte auf die frisch aufgeworfene Erde zu seinen Füßen. Zum ersten Mal in seinem Leben als Erwachsener hatte er Angst. Sie vermischte sich mit Reue und jener Art von ätzender, alles verschlingender Trauer, für die es keinen Namen gab. Er hatte das Gefühl, nicht mehr weiterzukönnen. Einen Moment lang glaubte er, dass seine Lungen vergessen hatten, wie sie sich weiten und zusammenziehen mussten. Beinahe wünschte er sich, dass sie es vergessen hatten.
Er fragte sich, wie viel Leid ein Herz wohl ertragen konnte, ehe es einfach zu schlagen aufhörte. Er schluckte, während sich in ihm ein quälendes Feuer ausbreitete. Sein Herz würde nicht viel mehr aushalten, da war er sich sicher.
»Auf Wiedersehen, mein Freund«, sagte er und senkte den Kopf. »Es tut mir so leid. Wo immer du bist – ich hoffe, du kannst mir all die Dinge vergeben, die ich dir über die Jahre hinweg angetan habe.« Er holte langsam tief Luft. Dann hob er den Kopf und blickte über die strahlenden Dächer von Rom hinweg, die rot und golden im Licht der Morgensonne funkelten.
»Vielleicht sehe ich dich schon bald wieder«, flüsterte er.
Als er und Bartleby zurück ins Haus kamen, entdeckte er Morgan auf einem der schwarzen Ledersofas im Medienraum. Sie hatte die Füße hochgezogen und knabberte am Daumennagel, während sie fernsah. Sie war so konzentriert, dass sie gar nicht hörte, wie er hereinkam und sie eine Weile schweigend unter der Tür beobachtete. Sie trug Schwarz – schwarze Leggings und einen langen, schwarzen Pulli mit Schalkragen. Um ihre Taille lag ein Gürtel, sodass der Pulli wie ein kurzes Kleid wirkte. Sie war barfuß, hatte die Haare zu einem Dutt zusammengebunden, und ihr Gesicht war ungeschminkt.
Wie immer sah sie atemberaubend aus. Er hatte das Gefühl, dass ihm bei ihrem Anblick erneut das Herz brach.
»Wir sind zurück«, sagte er tonlos, und sie zuckte zusammen.
»Oh!« Morgan sprang von der Couch auf und sah ihn an. Sie war schneeweiß, und die Hand an ihrem Hals zitterte, während ihr Puls wild in der Kuhle ihres Halses pochte. »Ich wusste … Ich war nicht …«, stammelte sie blinzelnd und zog dann den Schalkragen nach oben, sodass man ihren
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