Die Verraeterin
zu helfen …«
»Du weißt gar nichts!« , brüllte er. All sein Elend, seine Sehnsucht und seine Wut kochten endlich in ihm über. Zitternd und keuchend fuhr er fort, ohne darüber nachzudenken, was er da sagte. »Verschwende bloß nicht deine wertvolle Zeit mit solchem Gerede! Es ist vorbei! Es ist alles vorbei! Es gibt nichts, was ich tun kann, um das jetzt noch zu ändern. Darüber reden hilft sowieso nichts! Warum tust du nicht einfach das, worin du am besten bist: Denk an dich selbst! Warum konzentrierst du dich nicht auf deine eigenen verdammten Probleme und findest heraus, wie du das erreichst, weswegen du hierhergekommen bist! So wäre es zumindest keine totale Zeitverschwendung und auch nicht die Verschwendung des Lebens meines besten Freundes! Wegen dir sind wir nämlich alle an diesen gottverdammten Ort gekommen. Allein wegen dir! Nur wegen dir und deiner beschissenen Idee von einem Leben in Freiheit! Nur deinetwegen musste Julian sterben!«
Morgan stand fassungslos mit weit aufgerissenem Mund da. Auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecken, als ob sie gerade mit voller Wucht zwei Ohrfeigen verpasst bekommen hätte.
Als er sie so sah, schämte er sich sofort. Er war verflucht, beschämt und verliebt in eine Frau, die er niemals haben konnte und – das sollte er nicht vergessen – die er vermutlich schon bald töten musste. Was er allerdings garantiert nicht tun würde. Er würde dazu nicht in der Lage sein, was nur eine weitere Katastrophe nach sich ziehen würde, ein weiterer Scherz, den das Schicksal mit seinem schrecklichen Sinn von Humor für ihn bereithielt.
»Ach, verdammte Scheiße«, fauchte er. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging mit steifen Schritten aus dem Zimmer.
Benebelt sah Morgan Xander hinterher. Sie hatte das Gefühl, als ob etwas in ihr gemeinsam mit ihm das Zimmer verließ.
Nur deinetwegen musste Julian sterben!
Falls sie je geglaubt hatte, dass sie wusste, was Schmerz war, dann hatte sie sich bis zu diesem Moment gewaltig geirrt.
Kaum wissend, was sie tat, ging sie zur Tür. Sie sah nichts und wusste nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Ihr war nur bewusst, dass sie diesen Raum verlassen musste, dass sie dieses Haus verlassen musste. Sie musste an die frische Luft, wo sie vielleicht wieder klarer denken und den Schrei ausstoßen konnte, der ein riesiges Loch in ihre Brust brannte.
Nur deinetwegen …
Sie fand ihre Pumps neben der Kommode, wo sie sie abgestellt hatte, und schlüpfte hinein. Dann lief sie schwankend den Korridor entlang und stieg eine Stufe nach der anderen langsam die Treppe hinauf. Ihre Beine waren bleischwer, die Absätze ihrer Schuhe kaum hörbar auf dem Holzboden. Sie durchquerte das zweite Kellergeschoss und stieg eine weitere Treppe in das eigentliche Haus empor. Dort ging sie in den Garten und stellte sich auf die Veranda. Blinzelnd sah sie in die Sonne, trotz der warmen Luft des Morgens war ihr kalt vor Schock.
Nur deinetwegen musste Julian sterben!
Er hatte natürlich recht. Während sie auf den Rasen, die Bäume, den weißen Zaun und in den endlos azurblauen Himmel blickte, wurde ihr klar, dass er recht hatte. Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Sie war der Grund für all diese schrecklichen Ereignisse, und sie hatte niemand anderen als sich selbst dafür anzuklagen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie immer nur etwas gewollt und sich nach etwas gesehnt. Dabei hatte sie ein Loch gegraben, das inzwischen viel zu tief war, um jetzt noch herausklettern zu können. Und alle um sie herum begann inzwischen ebenfalls hineinzufallen.
Die einzige Möglichkeit, die ihr jetzt noch blieb, war, die Dinge wieder gerade zu biegen. Sie musste das tun, wofür sie hierhergekommen war. Sie musste die Expurgari finden.
Und dann? Was dann?
Sollte sie vergessen, dass sie Xander nähergekommen war?
Ja, antwortete eine höhnische Stimme in ihrem Inneren. Vergiss ihn. Er glaubt, dass du schuld am Tod seines besten Freundes bist. Und wahrscheinlich hat er damit sogar recht, Süße.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie unterdrückte ein Schluchzen, das in ihr aufstieg. Es würde ihm jetzt so viel leichter fallen, wenn es an der Zeit war. Es würde ihm so viel leichter fallen, das Messer zwischen die Wirbel ihres Nackens zu stoßen.
Mir bleibt noch immer Zeit, dachte sie verzweifelt und drehte sich nervös zum Haus um. Das Gebäude strahlte in der Morgensonne auf einmal etwas Bedrohliches aus. Es wirkte so, als würden sich in
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