Die Verraeterin
Zeit nicht gut geschlafen, Vater.«
Er runzelte die Stirn. »Wirklich?«
Sie nickte und richtete dann den Blick auf den Boden zu seinen Füßen. »Der neue Wachmann, den du zu meinem Schutz abgeordnet hast …«
»Ja?«, fragte er angespannt.
»Nun, er … er macht mich nervös.« Das stimmte. Der neue Wachmann ließ sie keinen Moment lang aus den Augen. Sie hatte keine Ahnung, was mit seinem Vorgänger geschehen war, der wesentlich freundlicher gewesen war. Sie wagte auch nicht zu fragen. Die Entscheidungen ihres Vaters wurden nie angezweifelt.
»Nervös«, wiederholte Dominus, wobei er beunruhigend leise klang.
Eliana blickte zu ihm auf. »Es ist nur … es ist nur die Art und Weise, wie er mich ansieht.«
Dominus holte tief Luft. Ruckartig drehte er den Kopf zur Zimmertür, vor der besagter Wachmann seinen Posten bezogen hatte. Hinter dem schweren Vorhang, der den runden Torbogen verhängte, konnte man nur seinen Ellenbogen und den rechten Fuß sehen, der in einem Stiefel steckte.
»Er hat nichts Unpassendes getan, Vater«, versicherte sie hastig und hoffte, dass sie so zumindest das Leben des Mannes nicht aufs Spiel setzte. »Aber ich würde mich besser fühlen, wenn du mir jemanden anderen zuweisen würdest. Vielleicht morgen nach der Bekanntmachung? Einen Tag lang ohne Schutz werde ich sicher problemlos überstehen.«
Ihr Vater wandte sich ihr wieder zu und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Erneut begann ihr Herz zu rasen. Sie befürchtete, dass er doch ihr Täuschungsmanöver durchschauen könnte, und fügte hastig hinzu: »Ich werde heute Nacht sicher viel besser schlafen, wenn mich niemand Neues bewacht. Einen Tag lang wird das bestimmt gehen. Eine Nacht lang. Ich kann wirklich nicht schlafen, wenn er in meiner Nähe ist.«
»Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?«, fauchte Dominus und trat zu ihr, um sich über sie zu beugen. »Ich hätte mich sofort um ihn gekümmert …«
»Ich will nicht, dass du dich um ihn kümmerst … Vater, bitte … Gib mir einfach einen anderen Wachmann. Morgen.«
Für einen langen, angespannten Moment musterte er sie schweigend und streng. Dann wurde seine Miene weicher, und er sagte: »Wie du möchtest.«
Wirklich? Sie konnte nicht glauben, dass es tatsächlich funktioniert hatte, und legte eine zitternde Hand auf ihr Gesicht. Adrenalin schoss durch ihren Körper und ließ sie noch nervöser werden. »Danke«, sagte sie.
Ihr Vater beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Stirn. Dann drehte er sich abrupt um und eilte zur Tür. Ehe er das Zimmer verließ, blieb er noch einmal stehen und sagte über die Schulter: »Übrigens wird heute Vormittag ein ganz besonderer Gast eintreffen. Jemand, der von jetzt an bei uns bleiben wird und den du, wie ich hoffe, genauso mögen wirst wie ich.« Seine leise, heisere Stimme bebte vor Emotionen.
Eliana horchte auf. »Ein Gast?«
Er wandte sich zu ihr um und blickte ihr in die neugierigen Augen. Wieder spielte dieses gefährliche Lächeln um seine Lippen. »Ja. Ich stelle euch einander morgen vor. Nach der Bekanntmachung.«
»Warum nicht heute?«
Seine Wangen wurden rot, und seine Augen funkelten bedrohlich. »Weil wir heute einige Zeit miteinander verbringen werden und ich diesen Gast erst einmal besser kennenlernen will.«
Eliana starrte ihn verwirrt an. War er deshalb in dieser merkwürdigen Verfassung?
»Wer ist dieser Gast?«
In seinen Augen blitzte etwas auf, das ihr einen weiteren kalten Schauder über den Rücken jagte.
»Deine neue Mutter«, erwiderte er. Dann drehte er sich endgültig um und verschwand durch die Tür. Eliana starrte ihm fassungslos und schockiert hinterher.
Als Morgan im Vatikan eintraf, war die Sonne bereits über das Dach des Petersdoms gestiegen und tauchte den riesigen Platz vor der Kirche in ein warmes, goldenes Licht. Für die Touristen war es noch zu früh. Aber wie immer stand ein Soldat der Schweizergarde da, als sie über den Platz lief. Er befand sich auf der obersten Stufe der Treppen links neben dem Eingang zum Dom. Morgan hoffte, ihn sich irgendwie für ihren Plan zunutze machen zu können.
Es war ein großer Mann. Seine körperliche Präsenz hatte etwas Eindrucksvolles, obwohl er diese lächerliche, lila-gelb-rot-gestreifte Renaissance-Uniform mit den Stiefelstulpen, den weißen Handschuhen und dem weißen Kragen trug. Der Degen an seiner Hüfte wirkte jedoch weniger merkwürdig als vielmehr furchteinflößend – ebenso wie die Pistole an seiner
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