Die Verraeterin
diesem Kaffee. Das ist …« Einen Moment lang suchte sie nach dem richtigen Wort, ehe Xander es für sie fand.
»Dekadent.«
Er drehte den Kopf, um sie anzusehen. Das Sonnenlicht fing sich in seinen dunklen Haaren und ließ sie bläulich schwarz schimmern. Wieder fiel ihr auf, wie schön er war, wie wild und anmutig. Ihn zeichnete etwas Mythisches und Bedrohliches zugleich aus. Außerdem verströmte er eine seltsame Schwermut, eine Stimmung erschöpfter Melancholie – wie die Erinnerung an zu viel Sünde.
Wie ein gefallener Engel, dachte sie und wandte hastig den Blick ab.
»Er ist auch besser als der, den wir in Brasilien haben.«
Sie sah ihn erneut an und beobachtete, wie er nun seinerseits seine Tasse leerte und sie dann auf die Untertasse stellte. Jede Bewegung strömte eine sachliche Eleganz aus. Er blickte zu ihr auf, stützte den Ellenbogen auf der Armlehne seines Stuhls ab und rieb dann mit einem Finger in einer langsamen, nachdenklichen Geste über seine vollen Lippen. Es sah zutiefst erotisch aus.
»Unsere Espressobohnen werden nicht so weit oben in den Bergen und auf vulkanischer Erde angebaut. Die italienischen Mischungen sind raffinierter.«
»Warum macht die Höhe einen solchen Unterschied?«
»Wie Weinreben produzieren auch Kaffeepflanzen, die weiter oben auf steinigem, kargem Boden wachsen, die besten Früchte.«
Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Es ist der Kampf, der sie so gut werden lässt«, erklärte er. »Die Herausforderung. Wenn man den Pflanzen zu viel Wasser, Sonnenlicht und fruchtbare Erde gibt, werden sie dick und geschmacklos – wie die Concorde-Traube, die nur schmeckt, wenn sie mit Zucker vermischt und zu Gelee verarbeitet wird. Oder die Pflanzen gehen ein und sterben vor Langeweile. Es ist wie bei uns. Am besten sind diejenigen, die wissen, wie man überlebt. Bei ihnen hat sich bereits die Spreu vom Weizen getrennt, sie zeichnen sich durch Kampf und schwere Zeiten aus und zeigen eine Komplexität und Kraft, die sich trotz der schwierigen Umstände herausgebildet und erhalten hat.«
Poetisch , dachte sie. Mein Mörder ist ein Poet.
»Also«, sagte Morgan und sah ihn fragend von unten an. »Was sind Sie dann? Eine fette Traube, die nach nichts schmeckt?«
Er lächelte trocken. »Nein.« Sein Blick musterte sie und funkelte leidenschaftlich. »Und Sie auch nicht, vermute ich.«
Das Essen wurde gebracht. Teller voller Prosciutto, Honigmelonen und Cornetti, Biscotti, gekochte Eier mit aufgeschnittenen Tomaten und getoastetes Brot. Dazu gab es weiteren wundervollen Espresso. Morgan ließ es sich schmecken und versuchte dabei den lodernden Blick, den Xander in ihre Richtung warf, zu ignorieren.
»Ich dachte, vielleicht wären die belebtesten Viertel ein Anfang«, sagte sie nach einer Weile, nachdem sie ein Stück Buttertoast in den Mund geschoben und sich der Kellner zurückgezogen hatte. »Die touristischen Gegenden. Das antike Rom, der Palatin – solche Orte.«
»Also noch mehr Besichtigungen«, erwiderte er in einem Tonfall, der klar zeigte, dass ihm dieser Plan gar nicht zusagte.
Sie schluckte den Toast hinunter und warf ihm einen frostigen Blick zu. »Es ist ein reines Rätselraten. Jenna konnte nicht erkennen, wo ihr Hauptquartier genau liegt. Also muss ich irgendwo anfangen. Wir können zuerst einmal die großen, offensichtlichen Sehenswürdigkeiten abhaken und uns dann den Vierteln zuwenden, die weiter draußen liegen, falls wir bis dahin nichts gefunden haben. Aber ich habe das Gefühl, dass wir etwas finden werden.«
»Sie glauben also, dass sie sich direkt unter unserer Nase befinden?«
»Warum nicht?« Sie zuckte mit den Achseln. »Wir tun das doch auch.«
Es folgte ein langes, unangenehmes Schweigen. Morgan aß ihr Frühstück und versuchte, nicht auf Xander zu achten, der noch immer wie versteinert auf seinem Stuhl saß und sie derart intensiv musterte, dass sie das Gefühl hatte, von ihm berührt zu werden. Ihre Wangen wurden heiß, und Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie wusste nicht, ob sie ihn lieber konfrontiert hätte oder geflohen wäre. Auf keinen Fall hatte sie jedoch vor, ihn anzusehen.
Als er schließlich das Wort ergriff, wünschte sie sich, er hätte es nicht getan.
»Warum haben Sie das gemacht?«
Sie konzentrierte sich auf ihren Teller und das Essen, das darauf lag. Langsam spießte sie ein Stück reife Melone mit ihrer Gabel auf, legte einen hauchdünnen Streifen Prosciutto darüber und führte das Ganze zum Mund. Es schmolz auf ihrer
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