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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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zurückgekommen.
    Sie war zurückgekommen.
    Dieser Satz wiederholte sich wie eine Platte mit Sprung ununterbrochen in seinem Kopf. Er vermochte vor lauter Fassungslosigkeit keinen Schritt von der Stelle zu weichen. Schließlich verdrängte ein anderer Gedanke diesen ersten: Warum?
    Es war ihr gelungen zu entkommen. Sie war frei gewesen. Aus ihm noch immer unerfindlichen Gründen hatte sie es geschafft zu fliehen. Es wäre ihr möglich gewesen, bis ans andere Ende der Welt zu flüchten, doch sie war zurückgekommen. Die Erleichterung, die sich in ihm ausbreitete, fühlte sich kühl und prickelnd zugleich an – so deutlich spürbar wie ein Regen. Als Nächstes folgte der heftige Wunsch, genau zu verstehen, was diese gefährliche, verrückte, hinreißende Frau eigentlich motivierte.
    Ohne ein Geräusch von sich zu geben oder das Licht anzumachen schlich Xander durch das elegant möblierte Wohnzimmer ins Schlafzimmer, wo er neben dem Bett stehen blieb. Mehrere Minuten lang starrte er auf ihr schlafendes Gesicht und beobachtete sie. Sie hatte die Hände wie zum Gebet gefaltet und unter ihre Wange gelegt. Ihre Wimpern sahen wie ein schwarzer, seidener Halbmond aus. Ihre Haare lagen wie dunkle Schokolade und Nerz auf dem Kissen. Die vollen Lippen, die auch ohne Lippenstift auffallend rot waren, zeigten sich weich und leicht geöffnet. Sie sah wunderschön, unschuldig und völlig friedlich aus.
    Er hätte jedes recht gehabt, sie auf der Stelle zu töten und nicht erst zwei Wochen zu warten.
    Nein, dachte er, ohne zu zögern. Nein. Dieser Körper, dieses Gesicht, diese vollen, rubinroten Lippen. Nein.
    Dann verfluchte er, sich für seine Dummheit und fragte sich, was zum Teufel eigentlich los mit ihm war. Sie war eine Deserteurin! Sie war eine Verräterin! Sie war … wunderschön. Geheimnisvoll. Stark.
    Er schloss die Augen, richtete sich auf und atmete langsam und leise durch seine zusammengebissenen Zähne aus. Dann zog er sich zu dem Ledersessel zurück, der diagonal zum Bett in einer Ecke des Zimmers stand, holte die Messer aus ihrer Scheide hervor, hielt sie mit beiden Händen fest und wartete.

10
    Als Morgan am nächsten Tag die Augen aufschlug, stand Xander an ihrem Bett und starrte sie mit durchdringenden, glühenden Augen an. In seinen Händen hielt er zwei gefährlich aussehende Messer.
    Sie setzte sich so abrupt auf, dass die Kissen mit den Gänsefedern vom Bett glitten. Noch während sie sich panisch nach etwas umsah, um ihn damit zu treffen – der Kugelschreiber auf dem Nachttischchen! –, wich er zurück, die Messer gesenkt.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Er schien es tatsächlich auch so zu meinen, denn er zog sich bis zur Schlafzimmertür zurück, wo er die Hände hinter den Rücken nahm und die Messer in zwei Scheiden schob, die er am Gürtel hatte. Dann stand er schweigend da und sah sie an, die Arme an den Seiten baumelnd. Sie konnte nicht abschätzen, was er dachte.
    »Ausgezeichneter Plan«, sagte sie, während ihr Herz wie wild hämmerte. »Jemanden mit zwei Messern in den Händen aufzuwecken hat nämlich so gar nichts Erschreckendes.«
    Keine Antwort. Die Art, wie er sie suchend und mit brennender Intensität ansah, ließ ihr das Blut in die Wangen schießen. Sie zog die Decke bis zum Kinn und starrte ihn trotzig und missmutig an.
    »Sie sind zurückgekommen.« Seine Stimme klang anders als noch am Tag zuvor – zwar noch genauso dunkel, aber auch irgendwie sanfter und weicher.
    »Ich war nie weg«, antwortete sie verärgert. »Ich bin nur … Ich bin nur …«
    Er neigte den Kopf mit einer knappen, ruckartigen Bewegung zur Seite, die sie an einen Raubvogel erinnerte, den sie einmal bei der Jagd auf ein Kaninchen im New Forest beobachtet hatte. Die Sache war für das Kaninchen nicht gut ausgegangen.
    Morgan stand auf, wobei sie die Decke mit sich zog und um ihren Körper wickelte. Sie trug ein Top und ein Höschen, sonst nichts. Plötzlich fühlte sie sich seinen Blicken regelrecht ausgeliefert. »Ich habe einen Riesenhunger. Frühstück ist meiner Meinung nach angesagt, ehe wir anfangen.«
    Xander sah sie stirnrunzelnd an, als ob sie in einer fremden Sprache mit ihm gesprochen hatte, und ließ seinen brennenden Blick über die Decke wandern, die sie krampfhaft festhielt. »Anfangen«, wiederholte er. Seine Stimme klang auffallend heiser.
    Wieder schoss ihr das Blut in die Wangen, die noch heißer wurden. Auch er sah so aus, als würde er einen großen Hunger

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